Samstag, 17. November 2012

straflos 7, Verlust der Vielfalt

Gefangen zwischen Rechtsweg & Hungerstreik

Der Verlust der Vielfalt 

im Antiknastkampf

Zugegeben, viele von den alltäglichen Kämpfen drinnen bekommen wir draußen gar nicht mit.Dies liegt nicht nur an der Zensur. Oftmals haben die Kämpfenden auch keinen Kontakt zu uns, bzw. wollen diesen auch gar nicht, weil sie eher eine bürgerliche Öffentlichkeit suchen. Dies war zu meiner aktiven Knastzeit (liegt gut 20 Jahre zurück) auch nicht viel anders. Etwas scheint sich seit damals aber doch verändert zu haben.

Was wir heute von drinnen mitbekommen, klingt häufig eher nach juristischer Korrespondenz denn nach Antiknastkampf. Zugegeben, auch das gabs schon zu meiner Zeit. Den Versuch, über bürgerliche Gerichte den Knast wesentlich zu verändern fand ich damals schon naiv. Für mich ist die Justiz Teil des Unterdrückungsapparats. Die Unterscheidung zwischen „guten“ und „bösen“  Gerichten finde ich ebenso absurd, wie das Spiel mit den „guten“ und „bösen“ Bullen. Wie gesagt, es gab auch schon zu meiner Zeit Gefangene, die diesen Weg gegangen sind. In den letzten Jahren scheinen es aber mehr geworden zu sein. Diese Verrechtlichung des „Widerstands“ ist aber nicht nur bei den Gefangenen feststellbar. Große Teile der Linken gehen einen ähnlichen Weg. Vor einiger Zeit bekam ich ein Flugi in die Hand mit dem schönen Titel „Die Demo erkämpfen“. Toll dachte ich, die Bullen verbieten ne Demo und wir machen sie trotzdem. Wenn wir es nicht in der Konfrontation durchsetzen können, versuchen wir eben die Bullensperre zu umgehen. Beim Weiterlesen des Flugis kehrte aber schnell Ernüchterung ein. Das „Erkämpfen“ bestand in einer Klage vor dem Oberverwaltungsgericht und mein „Kampfbeitrag“ wäre eine Spende für die linken Anwälte gewesen. Also, wenn Ihr Euch jetzt als Gefangene angepisst fühlt – große Teile der Linken draußen sind ebenso gemeint. Der Knast ist schließlich ein Spiegelbild.
Was dann über den Rechtsweg hinaus bei uns an Widerstandsaktionen ankommt, sind fast ausschließlich Hungerstreiks. Andere Aktionsformen scheinen kaum mehr denkbar. Wenn Ihr jetzt denkt, der hat leicht reden, der denkt, er hätte die Weisheit mit Löffeln gefressen. So ist es nicht. Ich hab viele Fehler gemacht. Auch ich war in einem langen Hungerstreik. Grade aufgrund dieser Erfahrung stelle den Hungerstreik als praktisch einzig denkbares Kampfmittel in Frage. Ich versuch jetzt mal in Kürze Euch zu erzählen, wie das bei mir damals war und welche Lehren ich draus gezogen hab.
Wahrscheinlich für jeden Gefangenen gibt’s einen Punkt, an dem die Repression einen Grad erreicht an dem Du sagst: ES REICHT! Bei mir war dieser Punkt erreicht, als die Zensur sich nicht mehr damit begnügte mir die Hälfte meiner Post vorzuenthalten. Sie begannen meine FreundInnen und GenossInnen draußen grundsätzlich vom Schreib- und Besuchsverkehr auszuschließen. (Ich muß dazu sagen, daß ich in Bayern einsaß und die sind ja sowieso von einem anderen Stern). Unmittelbar nachdem sie mir eröffnet hatten, dass nun wieder mal eine für mich wichtige Genossin generell vom Brief- und Besuchsverkehr ausgeschlossen sei, saß ich schon an der Schreibmaschine und schrieb meine Hungerstreikerklärung. Wahrscheinlich wäre es besser gewesen, erstmal ein paar Tage drüber nachzudenken. Morgens beim Frühstück drückte ich dem Stationschließer meine Erklärung in die Hand und ab da gabs für mich kein Zurück mehr. Die GenossInnen draußen und vor allem meine Freunde und Genossen im Knast waren ziemlich entsetzt. Sie erklärten mir ihre Sicht der Dinge. Diese Schreib-und Besuchsverbote waren ja eine ziemlich verzweifelte Reaktion der Gegner auf das, was wir im letzten Jahr bewegt hatten. Durch die Herausgabe der systemkritischen unzensierten Gefangenenzeitung Haberfeld, hatten wir unsere eigene Öffentlichkeit geschaffen. Gerade im bayrischen Zuchthaus Straubing, dass sich durch eine beispiellos rigorose Zensur auszeichnete, schon ne kleine Revolution. Es muss für die Straubinger Knastbetreiber ein kräftiger Schlag ins Gesicht gewesen sein, dass wir es immer wieder schafften, ihre Totschweigezensur zu umgehen. Dass sie beinahe jeden Monat in einem  neuen Haberfeldheft ihre Schweinereien, wie z.B. die Zwangs“behandlung“ von Gefangenen mit Psychopharmaka, nachlesen konnten, muß sie fast wahnsinnig gemacht haben. Dass die gedruckten Hefte dann selbstverständlich von ihnen nicht mehr durch die Zensur reinkamen, war auch relativ wurscht. Schließlich hatten wir ja schon Durchschläge unserer Texte angefertigt, die unter der Hand im Knast kursierten. Also auch die Mitgefangenen, die nicht unmittelbar an der Erstellung des Haberfelds beteiligt waren, wussten sehr genau, was da drinstand. Wie gesagt, vorher lag die Zensur wie eine Käseglocke über dem Straubinger Knast. Es drang so gut wie nichts über die Zustände nach draußen. Eine Mauer des Schweigens umgab dieses Monstrum. Die Tatsache, dass es uns gelungen war, diese Mauer zu durchbrechen, machte vielen der kritischen Gefangenen Mut. Wir rebellischen Gefangenen begannen uns zu organisieren. Was vorher eher so ein lockeres Nebeneinander war, formierte sich nun zur Gruppe.
Um uns regelmäßig in größerer Gruppe treffen zu können, mußten wir ein kleines Problem lösen. Es war verboten, dass sich mehr als 3 Gefangene während der Aufschlußzeit in einer Zelle aufhalten. Verstöße dagegen wurden als „Zusammenrottung“, also gewissermaßen als Vorstufe zur Meuterei gesehen. Wir gründeten einen Ortsverband der Grünen. Wenn Ihr uns jetzt als Reformisten abhakt und nicht mehr weiterlest, kann ich Euch auch nicht helfen. Also für uns von der Ursprungsgruppe gings nicht um grüne Parteipolitik, sondern um einen Rahmen, in dem wir uns regelmäßig treffen konnten. Dass sich in einem solchen Rahmen auch Reformisten beteiligen, war mir schon klar. Fand ich aber nicht so schlimm, zumal die Grünen damals noch ne andere Position zum Knast hatten. Stichwort: Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe. Mit der heutigen SV-Befürworterpartei wäre dies natürlich unvorstellbar. In kurzer Zeit hatte dieser Ortverband über 200 Mitglieder. Wie erwartet setzte ein Großteil dieser Gefangenen auf Petitionen, Eingaben und ähnliches. Um mich herum hatte sich aber ein „harter Kern“ von etwa 40 Genossen gebildet. Wir diskutierten schon über Streik, Sabotageaktionen u.ä. Es war auch schon zu unerklärlichen Pannen in Knastbetrieben gekommen. So mußte in der Knastdruckerei eine ganze Palette mit Haftbefehlen weggeworfen werden, weil sich da ein Druckfehler eingeschlichen hatte. Tja. Fehler passieren halt überall.

In diese ganze spannende Entwicklung platzte ich jetzt mit meinem individualistischen Hungerstreik. Im Nachhinein komme ich mir vor wie ein Elefant im Porzellanladen. Die GenossInnen draußen waren entsetzt. Die Genossen drinnen waren eher gespalten. Auch wenn sie jetzt die Kampfform Hungerstreik in dieser Situation nicht ganz nachvollziehen konnten, war doch bei vielen die Haltung, mich trotzdem zu unterstützen. Nach ner Woche dämmerte es selbst in meinem sturen Kopf, dass ich da in meiner Wut einen falschen  Schritt gemacht hatte. Wären da nur die Freunde und Genossen gewesen, so hätte ich wohl nach ner Woche abgebrochen. Aber da waren ja auch noch die verhaßten Gegner, und denen gegenüber wollte ich auf keinen Fall Schwäche zeigen. Ganz schön blöd, nicht wahr. Einen Fehler fortzusetzen nur um sein Gesicht zu wahren. Jedenfalls war ich jetzt wild entschlossen, das Ding bis zum Ende durchzuziehen. So gingen die Wochen ins Land. Nach vier Wochen hatte ich dann schon so stark abgenommen, dass ich kaum noch liegen oder sitzen konnte, weil wenig Fleisch auf den Knochen war. Natürlich verweigerte ich jeden Besuch bei der Knastärztin. Also Wiegen und den ganzen Scheiß, das lief bei mir nicht. So wurde ich regelmäßig beim Hofgang vor der Knastärztin aus dem Fenster beobachtet. Sie wollte wohl einschätzen, wann der Zeitpunkt für die Zwangsernährung gekommen sei.
schemenhaft:
Auf dem Weg zum Knast, Aspekt besagter Demo in Straubing

Nach fünfeinhalb Wochen kam dann die Wende. Einer aus unserer Gruppe kam auf mich zu und sagte, daß sie mich bitten den HS zu beenden, weil ich noch gebraucht würde und wir doch lieber kollektiven Widerstand leisten sollten. Bei der Ãœberlegung, wie denn dieser kollektive Widerstand aussehen könnte, kamen wir drauf, das Knastdach zu besetzen. Wie gesagt, das passierte nach fünfeinhalb Wochen HS. Eine Woche später hatten die GenossInnen draußen eine Demo zum Knast geplant. Ich entschied mich dafür, den Hungerstreik noch bis zu diesem Tag fortzusetzen.  Die Demo würde noch für einen zusätzlichen Mobilisierungsschub Richtung Dachbesetzung sorgen. Gesagt getan. Am Tag der Demo brach ich nach sechseinhalb Wochen den Hungerstreik ab. Den unverhohlenen Triumph und die Ãœberraschung der Schließer über meinen nicht mehr erwarteten Abbruch konnte ich jetzt mit einem inneren Lächeln ganz gut verschmerzen. Schließlich stand jetzt Größeres an.
nur noch zu erahnen:
besagte Kundgebung vor Knast Straubing

                                                                                        Gerhard
                                                                                        in straflos 7
                                                                                        Herbst 2012

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