Montag, 28. Dezember 2009

straflos 1, Doppelt gemoppelt

Technischer Hinweis: 

Doppelt gemoppelt

Wir sind mit den Gestaltungsmöglichkeiten des Blogs noch nicht vertraut. Um Lesenden bessere Möglichkeiten zu geben, auf einzelne Texte ergänzend, kommentierend und diskutierend zu reagieren, haben wir jetzt nachträglich die Texte der ersten Mini-Zeitschrift mit dem Namen "STRAFLOS" isoliert gesetzt, während Anfang des Monats diese Texte in ihrem Zusammenhang eingestellt wurden. Die Artikel stehen hier also vorerst doppelt. Je nachdem, ob sich Leser/innen-Beteiligung ergibt, beabsichtigen wir, später eine der beiden Versionen zu löschen.

Sonntag, 27. Dezember 2009

Abolitionistische Streitschrift: STRAFLOS

Nr.1, November 2009
Zum Begriff Abolitionismus: Abschaffungs-Bewegung Heißt eigentlich also nur: Hau weg den Scheiss! Gab es gegen die Sklaverei in den USA, gegen die staatliche Kontrolle der Prostitution, gibt es gegen die Todesstrafe, gegen Gefängnisse und Strafjustiz allgemein. Letzteres ist hier gemeint. War besonders verbreitet in den skandinavischen Ländernin den 70er und 80er Jahren. Staatliche Reaktionen darauf waren einige Lockerungen, Reformen (angebliche „Resozialisierung“). In den letzten 20 Jahren aber wieder viel Rückschritt in Richtung Straflogik. Doch es gibt weiterhin Vernetzungen der Bewegungen gegen Gefängnisse und Strafjustiz, alle 2 Jahre einen Weltkongress (ICOPA) auf wechselnden Kontinenten zwecks Theorie- und Erfahrungsaustausch. (Auch wir meinen, in reaktionären Zeiten sei es besonders wichtig, kritisches Denken & Handeln weiter zu entwickeln, Alternativen vorstellbar zu erhalten. Deshalb diese Streitschrift.)
Einleitung der Publikation STRAFLOS 01, November 2009

straflos 1, Wir wollen den Scheiss nicht

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Bilfinger-Berger baut die „JVA.KÖTTER“
In Ratingen entsteht der erste Privatknast in NRW
Die Baufirma Bilfinger und Berger hat sich auf den Neubau von Privatknästen spezialisiert. Ein offensichtlich lukratives Geschäftsmodell frei nach dem Motto „eingesperrt wird in diesem Land ja immer“. Ein krisensicheres Geschäft. Der neueste Großauftrag kommt aus dem NRW-Justizministerium. In Ratingen soll ein neuer Knast für 850 Gefangene entstehen. Warum das Land für einen Neubau, der voraussichtlich 100 Millionen kosten wird, lieber MONATLICH 1,7 Millionen und zwar 25 Jahre lang bezahlt, statt es gleich selbst zu bauen, interessiert uns wenig. Jeder Knastneubau ist für uns einer zuviel. Wenn die Knäste übervoll sind, müssen eben Leute raus gelassen werden, statt ständig neue Knäste zu bauen. Ob es wirklich notwendig ist, Schwarzfahrer und andere Eierdiebe einzusperren, das wäre eine Frage, welche sich diese Gesellschaft stellen müsste. Auch diejenigen, die mit dem Einsperren nicht grundsätzlich ein Problem haben.
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Insofern ist es für uns relativ wurscht, ob jetzt der Staat oder eine Privatfirma diesen Knast baut. Uns ist beides zuwider. Anders sieht es beim laufenden „Betrieb“ dieses Knastes aus. Dieser soll von der Firma KÖTTER organisiert werden. Die Firma KÖTTER ist vielen bekannt durch ihre „Schwarzen Sheriffs“ die uns an allen möglichen Orten drangsalieren, ARGEn vor unerwünschtem Besuch abzuschotten versuchen, Obdachlose von ihren Plätzen vertreiben. Daneben ist die Firma KÖTTER ein bekannter Sklavenhändler.
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Was nun diese Firma besonders dazu befähigt, z.B. die medizische und soziale Versorgung von Gefangenen besonders gut organisieren zu können, erschließt sich uns nicht. Beispiel für den Knastneubau in Ratingen, der offiziell „JVA Düsseldorf“ heißen soll, ist die JVA-Burg in Sachsen-Anhalt. Wie toll dort alles läuft, zeigt der folgende Bericht von Stefan, eines dortigen Gefangenen:
Nun bin ich hier in Burg angekommen. Nach vielen unfruchtbaren Gesprächen und Anträgen bin ich nun im Hungerstreik. Nicht weil ich etwas Utopisches fordere, sondern weil ich lediglich einfordere, was mir ohnehin zusteht.
Es geht um medizinische Versorgung zum ersten. Der Anstaltsleiter verweigert die Durchführung von medizinisch notwendigen Maßnahmen.
Zum zweiten ist die Personaldecke der Beamtenschaft so dünn, dass eine ordentliche Bearbeitung unserer Anträge unmöglich gemacht wird.
Des weiteren stellen sich ständig Kompetenzfragen, da niemand genau weiß, wer für was zuständig ist. So kommt es unter anderem auch dazu, dass man geradezu genötigt wird, einer privaten Firma (Kötter) eine Generalvollmacht für den sozialen Dienst auszustellen, da dieser ansonsten nicht tätig werden kann (falls man vielleicht einmal in's Krankenhaus muss)! Dass man genötigt wird Geräte zu mieten, obwohl man darüber - also über eigene - bereits verfügt. Doch zurück zu dieser Generalvollmacht, die einer Entmündigung gleichkommt. Anhand dieser "Vollmacht" hat man hier schon Gefangenen ohne ihr Wissen z.B. alte Abo's gekündigt. Wer hat da noch Fragen?
Dann sind hier alle voran gegangenen Genehmigungen hinfällig. So bekomme ich z.B. keine Arbeitsmaterialien und werde auch sonst nicht unterstützt von der Anstalt. Und das, obwohl man weiß, dass ich später damit mein Geld verdienen will.
Ich bin jetzt fast einen Monat lang hier und habe noch nicht einmal mein Schreibzeug von der Kammer bekommen, so dass ich hier auf Antragsblätter schreiben muss. Nach Anfrage bei der Anstalt erfuhr ich, dass man es gerne sehen würde, wenn ich neues Schreibzeug beim Anstaltskaufmann neu erwerbe, wobei ich persönlich die Befürchtung habe, dass dabei das Verhältnis von Preis und Leistung eben nicht im Verhältnis steht. Im Gesamten habe ich das Gefühl, wir sollen hier durch perfide Mittel zum Konsum erzogen werden ...
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Selbst die verbliebenen Beamten in diesem Privatknast finden das alles wohl nicht so toll. Von 100 zwangsverpflichteten Beamten haben jedenfalls 40 erfolgreich dagegen geklagt oder sich mit Attest krankgemeldet.
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Was macht nun Knäste für Privatkapitalisten so attraktiv?
Die Erfahrungen aus den USA zeigen, daß es vor allem der Bereich der Zwangsarbeit ist. In der JVA Düsseldorf stehen der Firma Kötter zukünftig 850 zur Zwangsarbeit verpflichtete Gefangene zur Verfügung. Diese werden nicht nur minimal „entlohnt“. Sie haben auch kein Streikrecht, können sich nicht mal gewerkschaftlich organisieren. Krankmeldungen sind nur über den (ebenfalls von KÖTTER bezahlten) Anstaltsarzt möglich. Auch in den staatlichen Knästen war das Bestreben möglichst viel Profit aus der Arbeit der Gefangenen zu schlagen. Trotzdem gab es auch (wenn auch viel zu wenig) Möglichkeiten zur schulischen und beruflichen Aus- oder Weiterbildung. Solche Maßnahmen kosten natürlich Geld. Für einen privaten Betreiber wäre dies einfach eine Gewinnschmälerung. Welcher Privatkapitalist wir wohl freiwillig kaum auf Gewinn verzichten. Schon garnicht die Firma KÖTTER die schon draußen durch miese Bezahlung aufgefallen ist.
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Weitere Fragezeichen bestehen im Bereich der medizinischen Versorgung. Wie groß wird denn die Bereitschaft des KÖTTER-Anstaltarztes sein, den Gefangenen teure Medikamente oder Behandlungen zu verschreiben, wenn er damit seinen Arbeitgeber schädigt? Schon in den staatlichen Knästen war die medizinische Versorgung der Gefangenen bestenfalls bescheiden(siehe auch Bericht über den Prozess gegen den Knastarzt in Nürnberg). Dass sich diese Situation im Privatknast verbessern würde, halten wir für mehr als unwahrscheinlich. Es wäre illusorisch zu glauben, daß wir angesichts der Kräfteverhältnisse diesen Knastneubau in Ratingen noch verhindern könnten. Aber wir können unseren Widerwillen öffentlich sichtbar machen und diesen furchtbaren scheinbaren gesellschaftlichen Konsens, dass Knast kein Thema sei, durchbrechen.
Lasst uns gemeinsam den Widerstand gegen die JVA-KÖTTER organisieren!
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Foto aus Ulmer Echo, Düsseldorfer Gefangenenzeitung §§§§§§§§§§§§§§§§§§§ Text aus STRAFLOS 01 vom November 2009

sl 1, Belgien: Gefangene von Polizisten schwer mißhandelt

Als Ende September die Schließer im Brüsseler Knast Forest streikten, übernahm die Polizei das Kommando in dem Knast. Schon öfter hatten die Schließer in Belgien gegen die Überbelegung und die miesen Bedingungen in belgischen Knästen gestreikt. Was an diesem Tag geschah, schildert der Vorsitzende der Anstaltskommission wie folgt: „An diesem Tag wurde das Gefängnis von Forest von Polizisten des Bereichs Brüssel-Süd besetzt, die buchstäblich die Macht in der Einrichtung übernommen haben, wo sie den Schrecken haben herrschen lassen“. Tatsächlich wurde ein Gefangener so schwer zusammengeschlagen, daß der Notarzt kommen mußte. Ein anderer Gefangener wurde mit dem Knüppel auf Rücken und Hoden geschlagen. Ein ehemaliger Kollege, der nun selber im Knast saß, wurde von den Polizisten die ganze Nacht so sehr drangsaliert, daß er sich das Leben nehmen wollte. Offensichtlich sind diese Aufsichtskommissionen in Belgien nicht ganz so anstaltskonform wie die meisten Anstaltsbeiräte hierzulande. Sonst wäre dieser Vorfall vermutlich nie an die Öffentlichkeit gekommen.
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Vergleiche
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Rückblick: Als es 1990 eine Welle von Dachbesetzungen gab, wurden die beteiligten Gefangenen z.B. in der JVA Straubing schwer mißhandelt. Nach der Räumung des Knastdaches, wurden sie mit gefesselten Händen durch die Dachluken geworfen, wodurch es zu den ersten Knochenbrüchen kam. Anschließend war Spießrutenlaufen auf dem Speicher des Knasts angesagt. Sie wurden durch ein Spalier von Bereitschaftsbullen getrieben, die in wilder Wut auf die Gefangenen einschlugen. Manche Gefangene waren noch Wochen danach „nicht verzeigbar“. - Nichts davon drang an die Öffentlichkeit. Was einerseits für die „Qualität“ des dortigen Anstaltsbeirats spricht. Die besonders rigide Zensur in Bayern sorgt natürlich ebenfalls dafür, daß möglichst nichts nach draußen dringt. Aktuell: Ohne den engagierten Notarzt, wäre wohl auch der Fall in Nürnberg (siehe unten) unter der Decke des Schweigens verschwunden.
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Zeichnung: Finni §§ §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ Text aus STRAFLOS 01 vom November 2009

straflos 1, So werden die Knäste gefüllt

16.November, 6 Uhr, Hamburg, S-Bahnhof Reeperbahn: Ein 27-Jähriger mißachtet das Rauchverbot. Zum Glück wird unsere Freiheit nicht nur am Hindukusch, sondern auch in den S-Bahnhöfen verteidigt. Entschlossen schreitet der Bundesgrenzschutz ein. Bei der Überprüfung des Mannes stellen die Beamten schnell fest, daß ihnen da ein dicker Fisch ins Netz gegangen ist. Gegen den Übeltäter liegt ein Haftbefehl vor. Wegen Schwarzfahren muß er noch 80 Tage brummen, weil er die Geldstrafe nicht bezahlen kann. Damit nicht genug. In seinen Taschen findet sich auch noch ein bißchen Shit. Jetzt erwartet ihn neben den 80 Tagen auch noch ein Drogenprozeß. Tja, die Justiz gönnt sich ja sonst nichts.
Ein banaler Fall werdet ihr jetzt sagen. Bloß, die Knäste sind voll mit solch banalen Fällen. In Berlin gibt es einen Knast, da sitzen 50% Schwarzfahrer. Mehr als 10% aller Gefangenen sitzen wegen nichtbezahlter Geldstrafen, viele davon wegen Schwarzfahren. Auf die Überbelegung in den Knästen reagiert die herrschende Politik mit Knastneubauten.
Billiger und sinnvoller wäre es, nicht einfach jeden Eierdieb einzusperren. §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ Ebenfalls: Nulltarif für öffentlichen Nahverkehr! Zumindest für arme Schlucker. §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ Entkriminalisierung spezifischer Genussmittel (Drogen)! §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§
aus STRAFLOS 01 vom November 2009

straflos 1, Das große Mißverständnis

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Wenn wir von einer Gesellschaft ohne Knäste sprechen, meinen viele unserer GesprächspartnerInnen DIESE Gesellschaft ohne Knäste und halten dies für eine Utopie. Sie haben recht. Diese Gesellschaft ist so sehr auf Konkurrenz, Gewalt und Macht aufgebaut, daß sie ohne Knäste oder andere Formen von Strafe nicht existieren kann. Aber ist es nicht naiv zu glauben, daß dieses Gesellschaftmodell der Weisheit letzter Schluß ist? Ist es wirklich total unrealistisch zu glauben, daß sich Gesellschaften auch mal anders organisieren könnten? Von Klein an sind wir in dieser Gesellschaft mit Gewalt und Strafe konfrontiert. Vieles davon ist durch die krasse öknomische Ungerechtigkeit in dieser Gesellschaft bedingt. Wenn das Kind hungrig in den Kindergarten geht, weil die Eltern (oftmals auch nur die Mutter) zum unteren Drittel der Gesellschaft gehören, so ist dies natürlich Gewalt. Und das Kind empfindet es natürlich als Strafe, wenn ihm vieles vorenthalten wird, was für Kinder reicher Eltern selbstverständlich ist. Diese Gewalt setzt sich dann nahtlos in der Schule fort (Über das Schulsystem ließen sich mehr als nur ein Beitrag schreiben). Wer dann nach der Schule die „Alternative“ hat, prekärer Billiglöhner oder Hartz 4-Empfänger zu werden, empfindet dies natürlich als Gewalt. Auch Strafen finden hierzulande meist auf ökonomischer Ebene statt. Bei nicht normgerechten Verhalten oder gar Aufbegehren spannt sich eine weite Kette vom Taschengeldentzug, über die Leistungsverweigerung durch die ARGE bis hin zur Geldstrafe. Selbst im Knast finden die meisten Hausstrafen auf der öknomischen Ebene statt: Einkaufssperre oder Entzug des TV.Geräts sind nur Beispiele dafür. Eine ökonomisch extrem ungerechte Gesellschaft läßt sich eben nur mit Gewalt und durchsetzen.
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Gewalt erzeugt Gegengewalt
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Wer durchbricht die Gewaltspirale?
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Es existiert aber auch unbestreitbar direkte körperliche Gewalt. Diese direkte Gewalt gibt es auf individueller und auf staatlicher Ebene. Beide mit steigender Tendenz. Beide haben miteinander zu tun und schaukeln sich gegenseitig hoch. Anders ausgedrückt: Je gewalttätiger ein Staat ist, desto gewalttätiger wird die Bevölkerung. Dies zeigt sich exemplarisch an der Beziehung Krieg und Knast. Staaten welche Krieg führen verzeichnen einen Anstieg der Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft. Nach einer neueren Untersuchung sind über 10% aller Gefangenen in Großbritannien ehemalige Soldaten. In den USA gab es ähnliche Erfahrungen mit Vietnam-Veteranen. Wer von Staats wegen töten darf, verliert eben eine natürliche Hemmschwelle. Ähnliches gilt auch für die Todesstrafe. Wer seiner Bevölkerung sagt, daß Töten unter bestimmten Umständen erlaubt und erwünscht ist, ja, was sendet der für ein Signal aus? Aber auch individuelle Gewalt schaukelt sich manchmal hoch, ja sie „vererbt“ sich teilweise. Unbestritten sind viele gewalttätige Menschen als Kinder selbst Opfer von Gewalt gewesen. Der 5-jährige, der mißhandelt wird, wird von allen bedauert, die BLÖD-Zeitung voran. Zehn Jahre später schlägt er selbst zu und ist plötzlich „die Bestie“. Um es mit der BLÖD-Zeitung auszudrücken. Individuelle Gewalt ist aber oftmals nicht nur Reaktion auf selbst erlebte körperliche Gewalt, sondern häufig auch Reaktion auf strukturelle soziale Gewalt. Staatliche Gewaltausübung dient aber nicht nur der Aufrechterhaltung der ungerechten gesellschaftlichen Verhältnisse. Sie befriedigt auch die Gewaltphantasien derer,die aus irgendwelchen Gründen davor zurückschrecken, selbst individuelle Gewalt auszuüben.
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Abolitionismus ist kein Selbstzweck
Wenn wir unser Ziel einer „Gesellschaft ohne Knäste“ formulieren hören wir oft die Frage, was uns das hier und heute nützt? Wenn wir sagen, daß dies ein langfristiges Ziel ist, daß sich unter den derzeit herrschenden gewalttätigen Gesellschaftsbedingungen nicht unmittelbar verwirklichen läßt, so bedeutet dies nicht, daß wir nun tatenlos warten, bis die entsprechenden gesellschaftlichen Bedingungen verwirklicht sind. Nein, kleine Schritte sind jetzt schon erforderlich. Grade weil uns das große Ziel die Richtung vorgibt, laufen wir nicht Gefahr reformistisch zu werden. Reformismus bedeutet, das bestehende Unrechtssystem zu verbessern. Etwas, das grundsätzlich falsch ist, kann aus unserer Sicht aber nicht verbessert werden. Wir können nur versuchen, das System Schritt für Schritt zurückzudrängen.

aus STRAFLOS 01 vom November 2009

straflos 1, Recht auf Rausch

Was soll die Gesellschaft mit einem Menschen machen, der von seiner (Heroin-)Sucht nicht mehr los kommt und deshalb immer wieder Eigentumsdelikte begeht, um seine Sucht zu finanzieren? Eine Antwort wäre, dem Menschen einfach sein Heroin zu geben, damit er nicht mehr klauen oder Raubüberfälle begehen muß. So etwas ist in dieser Gesellschaft leider undenkbar. Warum eigentlich?
Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist ein Prozeß gegen einen 39-jährigen, der vor kurzem in Braunschweig stattgefunden hat. Der Angeklagte hatte mehrere erfolglose Therapien hinter sich. Der Gutachter attestierte, daß er wahrscheinlich nie mehr von seiner Sucht loskommt. Was also tun? Hier offenbart sich das Dilemma der herrschenden Drogenpolitik. Ein Recht auf Rausch existiert allenfalls in bayrischen Bierzelten. Es hat uns schon positiv überrascht, daß die LINKE in NRW das Recht auf Rausch beschließen wollte. Leider, oder erwartungsgemäß hat sie dann auf der Zielgerade doch der Mut verlassen. So bleibt die Drogenpolitik zwischen den Extremen Abstinenz und Wegsperren gefangen. Ein relativ freies Leben als Süchtiger bleibt in dieser Gesellschaft erstmal Utopie. §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ Angesichts der (in jeder Beziehung) beschränkten gesellschaftlichen Alternativen entschied sich das Landgericht Braunschweig dann „folgerichtig“ für das Wegsperren für immer und verhängte Sicherungsverwahrung. Da der Schwerstabhängige die gesellschaftliche Abstinenzforderung nicht erfüllen kann und das Recht auf Rausch konsequent verweigert wird, war dieser Schritt ebenso logisch wie pervers.
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Wer die Knäste so vehement mit Suchtkranken füllt, muss natürlich ständig neue Knäste bauen. Was bleibt ist die Hoffnung, daß irgendwann mal die Mehrheit der Gesellschaft den Wahnsinn dieses Handelns einsieht.
aus STRAFLOS 01 vom November 2009

Todesursache: Knast

Jedes Jahr gibt es etwa 100 Suizide in Deutschlands Knästen. Über die Zahl der Suizidversuche gibt es keine Zahlen. Nach einer Untersuchung denken 40% aller Gefangenen an Selbstmord. Vermutlich liegt die Zahl noch wesentlich höher. Warum werden diese Hilferufe draußen kaum wahrgenommen? Liegt es nur an den dicken Knastmauern? Oder liegt es nicht eher daran, daß viele draußen nicht hinhören wollen? Die Toten werden still und heimlich weggebracht. Der Hausarbeiter putzt die Zelle. Und niemand draußen hats gemerkt. Akte zu und weiter geht’s. Der Fall von David S. ist deshalb aussergewöhnlich, weil er öffentliche Aufmerksamkeit erregt hat. Was war geschehen? §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ In den frühen Morgenstunden des 16. Juli 2008 schnitt sich David S. in seiner Zelle im Nürnberger Knast die Pulsadern auf. Fünf Monate saß er dort in Untersuchungshaft. Fünf Monate, in denen er nicht mal seinen Eltern schreiben durfte, geschweige denn Besuch empfangen. Die Begründung: da er nicht geständig sei, bestehe Verdunklungsgefahr. Kleiner rechtlicher Hinweis: Kein Gefangener ist zum Geständnis verpflichtet, nicht mal in Bayern. Erst zwei Monate nach seinem Tod erhielten seine Eltern 4 Briefe, die David während seiner Haft an sie geschrieben hatte. Diese Briefe hatten die Anstalt aber nie verlassen. Nach 5 Monaten war David dann offensichtlich so verzweifelt, daß er „ein Zeichen“ setzen wollte. Kurz nachdem er sich die Pulsadern aufgeschnitten hatte, drückte David den Notruf. Was dann folgte, ist ein Lehrstück in Sachen medizinischer Versorgung im Knast. §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ Zwei Schließer rückten an, öffneten die sogenannte Kostklappe (eine kleine Luke in der Tür). Sie sahen den blutverschmierten und um Hilfe rufenden David. Auch Mitgefangene, welche die Hilferufe von David hörten, schlugen Alarm. Statt sofort den Notarzt zu rufen, benachrichtigten die beiden Schließer erstmal den Knastsanitäter Ilja S. Nach einer halben Stunde traf dieser dann endlich vor Ort ein. Auch er rief nicht sofort den Notarzt, sondern telefonierte erstmal mit dem Anstaltsarzt Dr.Kurt Paulus. Dieser wollte weder in die JVA kommen, noch riet er dazu den Notarzt zu rufen. Stattdessen empfahl er Pflaster und stündliche Beobachtung. Er wollte dann am nächsten Tag nach David sehen. Eine Stunde nach diesem Telefonat war David schon tot. Einge Mitgefangene hörten, wie die Beamten darüber diskutierten, ob sie denn überhaupt befugt seien, den Notarzt zu rufen. Der um Hilfe rufende David wurde angeschnauzt, er soll „sich zusammenreißen“. Sie beschlossen dann David mit dem Rollstuhl in die Sanitätsabteilung zu bringen. Erst als David in einen sogenannten Blutungsschock fiel, entschloß man sich doch, den Notarzt zu rufen. Viel zu spät. Dieser konnte um 3.51 Uhr nur noch den Tod von David feststellen. §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ Am 11.11.2009 begann in Nürnberg der Prozeß gegen den Knastarzt Dr.Kurt Paulus und den Sanitäter Ilja S. Der viel zu spät gerufene Notarzt machte als Zeuge keinen Hehl aus seinem Entsetzen über den Dilettantismus des medizinischen Personals. Wörtlich: „Für jeden, der nur ein bißchen Ahnung von Medizin hat, ist ersichtlich, daß das so nicht geht“. Pflaster seien zur Versorgung solch tiefer Wunden absolut nicht geeignet. Ebenso unsinnig sei der Transport auf die Krankenstation gewesen. Stattdessen hätte man sofort den Notarzt rufen müssen. Während der Anstaltsleiter immer noch großes Vertrauen in Dr. Paulus hat, klagt der Hausarbeiter, der am nächsten Tag die blutverschmierte Zelle putzen mußte, seither über Schlaflosigkeit. §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ Noch läuft dieser Prozeß. Wir wissen nicht, ob es noch vor dem Druck dieser Straflosausgabe noch zu einem Urteil kommt. Wir werden aber auf alle Fälle in der nächsten Ausgabe weiter informieren.
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Nur ein Versagen der Einzelnen?
Das Urteil ist gar nicht das, was die meiste Aufmerksamkeit verdient. Justiz kann, wie immer, fast nur persönliches Versagen be- und verurteilen. Der Fehler liegt aber im System. Tausende Gefangene können ein Lied singen von der mangelhaften medizinischen Versorgung, im Notfall und im Alltag. Bei zahlreichen Todesfällen während und nach der Haft kommt aber eine (Mit-)Verantwortung der Knastmedizin (z.B. verspätete Diagnose) gar nicht ins Blickfeld. Erst recht, wenn es nicht um Leben oder Tod, sondern "nur" um vermeidbare Schmerzen geht. Wen interessiert das außer die Betroffenen? §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ Der Kern des Problems ist: Gefangene können keinen Arzt ihres Vertrauens wählen. Der/die zuständige Mediziner/in ist bei der Gefängnisverwaltung angestellt, genießt deren Vertauen. Er/sie ist Teil des Strafsystems, muß z.B. beurteilen, ob Gefangene aus medizinischer Sicht "arrestfähig" sind, also eine Sonderstrafe durchstehen können. Da Gefängnisärzte auch "draußen" kein besonders Ansehen genießen, landen in dieser Position meist nicht die besonders Fähigen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen ist es wohl auch nicht soziales Engagement, das medizinisches Personal an die doppelt und dreifach verriegelten Orte verschlägt. §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ Dass die Sanitäter im vorliegenden Fall diskurierten, ob sie eine Notarzt von außerhalb des Justisapparates rufen "dürfen", hat mit dieser Grundstruktur zu tun. Not gab es ja offensichtlich. Aber halt diese leidige Zuständigkeitsfrage. Ab wann ist die Not des Gefangenen groß genug, diese Barriere zu überwinden? Medizinische (Nicht-)Versorgung unter solchen Bedingungen ist unwürdig, schmerzbringend, teilweise lebensgefährlich bzw. tatsächlich Tod bringend.
aus STRAFLOS 01 vom November 2009

In eigener Sache! In gemeinsamer Sache?

Diese Streitschrift wird kostenlos verteilt an Gefangene und Interessierte „draußen“. Finanzierung ist nie gesichert. Die, die noch nicht hinter Gittern sitzen, werden gebeten, das Projekt durch Spenden zu unterstützen. Wir bitten besonders politische/soziale Initiativen, bei der Verbreitung behilflich zu sein - d.h. regelmäßige Abnahme einer Anzahl Exemplare - und sich an unseren Kosten durch einen Dauerauftrag oder periodische Spenden zu beteiligen. Unsere Veröffentlichungsmöglichkeiten in „kumm erus/Unbequeme Nachrichten“ sind mangels Unterstützung verloren gegangen. §§§§§§§§ Auf ein Neues! §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§
Impressum: akp-koeln Konto: zosamme eV, Kto: 535348006, BLZ: 37160087, Kölner Bank, Verwendungszweck: straflos
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aus STRAFLOS 01 vom November 2009

Mittwoch, 2. Dezember 2009

STRAFLOS Nr.1

Abolitionistische Streitschrift
Nr.1, November 2009

Zum Begriff Abolitionismus: Abschaffungs-Bewegung
Heißt eigentlich also nur: Hau weg den Scheiss! Gab es gegen die Sklaverei in den USA, gegen die staatliche Kontrolle der Prostitution, gibt es gegen die Todesstrafe, gegen Gefängnisse und Strafjustiz allgemein. Letzteres ist hier gemeint. War besonders verbreitet in den skandinavischen Ländernin den 70er und 80er Jahren. Staatliche Reaktionen darauf waren einige Lockerungen, Reformen (angebliche „Resozialisierung“). In den letzten 20 Jahren aber wieder viel Rückschritt in Richtung Straflogik. Doch es gibt weiterhin Vernetzungen der Bewegungen gegen Gefängnisse und Strafjustiz, alle 2 Jahre einen Weltkongress (ICOPA) auf wechselnden Kontinenten zwecks Theorie- und Erfahrungsaustausch. (Auch wir meinen, in reaktionären Zeiten sei es besonders wichtig, kritisches Denken & Handeln weiter zu entwickeln, Alternativen vorstellbar zu erhalten. Deshalb diese Streitschrift.) § § § § § § § §
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Bilfinger-Berger baut die „JVA.KÖTTER“
In Ratingen entsteht der erste Privatknast in NRW Die Baufirma Bilfinger und Berger hat sich auf den Neubau von Privatknästen spezialisiert. Ein offensichtlich lukratives Geschäftsmodell frei nach dem Motto „eingesperrt wird in diesem Land ja immer“. Ein krisensicheres Geschäft. Der neueste Großauftrag kommt aus dem NRW-Justizministerium. In Ratingen soll ein neuer Knast für 850 Gefangene entstehen. Warum das Land für einen Neubau, der voraussichtlich 100 Millionen kosten wird, lieber MONATLICH 1,7 Millionen und zwar 25 Jahre lang bezahlt, statt es gleich selbst zu bauen, interessiert uns wenig. Jeder Knastneubau ist für uns einer zuviel. Wenn die Knäste übervoll sind, müssen eben Leute raus gelassen werden, statt ständig neue Knäste zu bauen. Ob es wirklich notwendig ist, Schwarzfahrer und andere Eierdiebe einzusperren, das wäre eine Frage, welche sich diese Gesellschaft stellen müsste. Auch diejenigen, die mit dem Einsperren nicht grundsätzlich ein Problem haben. Insofern ist es für uns relativ wurscht, ob jetzt der Staat oder eine Privatfirma diesen Knast baut. Uns ist beides zuwider. Anders sieht es beim laufenden „Betrieb“ dieses Knastes aus. Dieser soll von der Firma KÖTTER organisiert werden. Die Firma KÖTTER ist vielen bekannt durch ihre „Schwarzen Sheriffs“ die uns an allen möglichen Orten drangsalieren, ARGEn vor unerwünschtem Besuch abzuschotten versuchen, Obdachlose von ihren Plätzen vertreiben. Daneben ist die Firma KÖTTER ein bekannter Sklavenhändler. Was nun diese Firma besonders dazu befähigt, z.B. die medizische und soziale Versorgung von Gefangenen besonders gut organisieren zu können, erschließt sich uns nicht. Beispiel für den Knastneubau in Ratingen, der offiziell „JVA Düsseldorf“ heißen soll, ist die JVA-Burg in Sachsen-Anhalt. Wie toll dort alles läuft, zeigt der folgende Bericht von Stefan, eines dortigen Gefangenen: Nun bin ich hier in Burg angekommen. Nach vielen unfruchtbaren Gesprächen und Anträgen bin ich nun im Hungerstreik. Nicht weil ich etwas Utopisches fordere, sondern weil ich lediglich einfordere, was mir ohnehin zusteht. Es geht um medizinische Versorgung zum ersten. Der Anstaltsleiter verweigert die Durchführung von medizinisch notwendigen Maßnahmen. Zum zweiten ist die Personaldecke der Beamtenschaft so dünn, dass eine ordentliche Bearbeitung unserer Anträge unmöglich gemacht wird. Des weiteren stellen sich ständig Kompetenzfragen, da niemand genau weiß, wer für was zuständig ist. So kommt es unter anderem auch dazu, dass man geradezu genötigt wird, einer privaten Firma (Kötter) eine Generalvollmacht für den sozialen Dienst auszustellen, da dieser ansonsten nicht tätig werden kann (falls man vielleicht einmal in's Krankenhaus muss)! Dass man genötigt wird Geräte zu mieten, obwohl man darüber - also über eigene - bereits verfügt. Doch zurück zu dieser Generalvollmacht, die einer Entmündigung gleichkommt. Anhand dieser "Vollmacht" hat man hier schon Gefangenen ohne ihr Wissen z.B. alte Abo's gekündigt. Wer hat da noch Fragen? Dann sind hier alle voran gegangenen Genehmigungen hinfällig. So bekomme ich z.B. keine Arbeitsmaterialien und werde auch sonst nicht unterstützt von der Anstalt. Und das, obwohl man weiß, dass ich später damit mein Geld verdienen will. Ich bin jetzt fast einen Monat lang hier und habe noch nicht einmal mein Schreibzeug von der Kammer bekommen, so dass ich hier auf Antragsblätter schreiben muss. Nach Anfrage bei der Anstalt erfuhr ich, dass man es gerne sehen würde, wenn ich neues Schreibzeug beim Anstaltskaufmann neu erwerbe, wobei ich persönlich die Befürchtung habe, dass dabei das Verhältnis von Preis und Leistung eben nicht im Verhältnis steht. Im Gesamten habe ich das Gefühl, wir sollen hier durch perfide Mittel zum Konsum erzogen werden... Selbst die verbliebenen Beamten in diesem Privatknast finden das alles wohl nicht so toll. Von 100 zwangsverpflichteten Beamten haben jedenfalls 40 erfolgreich dagegen geklagt oder sich mit Attest krankgemeldet.
Was macht nun Knäste für Privatkapitalisten so attraktiv?
Die Erfahrungen aus den USA zeigen, daß es vor allem der Bereich der Zwangsarbeit ist. In der JVA Düsseldorf stehen der Firma Kötter zukünftig 850 zur Zwangsarbeit verpflichtete Gefangene zur Verfügung. Diese werden nicht nur minimal „entlohnt“. Sie haben auch kein Streikrecht, können sich nicht mal gewerkschaftlich organisieren. Krankmeldungen sind nur über den (ebenfalls von KÖTTER bezahlten) Anstaltsarzt möglich. Auch in den staatlichen Knästen war das Bestreben möglichst viel Profit aus der Arbeit der Gefangenen zu schlagen. Trotzdem gab es auch (wenn auch viel zu wenig) Möglichkeiten zur schulischen und beruflichen Aus- oder Weiterbildung. Solche Maßnahmen kosten natürlich Geld. Für einen privaten Betreiber wäre dies einfach eine Gewinnschmälerung. Welcher Privatkapitalist wir wohl freiwillig kaum auf Gewinn verzichten. Schon garnicht die Firma KÖTTER die schon draußen durch miese Bezahlung aufgefallen ist.
Weitere Fragezeichen bestehen im Bereich der medizinischen Versorgung. Wie groß wird denn die Bereitschaft des KÖTTER-Anstaltarztes sein, den Gefangenen teure Medikamente oder Behandlungen zu verschreiben, wenn er damit seinen Arbeitgeber schädigt? Schon in den staatlichen Knästen war die medizinische Versorgung der Gefangenen bestenfalls bescheiden (siehe auch Bericht über den Prozess gegen den Knastarzt in Nürnberg). Dass sich diese Situation im Privatknast verbessern würde, halten wir für mehr als unwahrscheinlich. Es wäre illusorisch zu glauben, daß wir angesichts der Kräfteverhältnisse diesen Knastneubau in Ratingen noch verhindern könnten. Aber wir können unseren Widerwillen öffentlich sichtbar machen und diesen furchtbaren scheinbaren gesellschaftlichen Konsens, dass Knast kein Thema sei, durchbrechen
Lasst uns gemeinsam den Widerstand gegen die JVA-KÖTTER organisieren! §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§
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Als Ende September die Schließer im Brüsseler Knast Forest streikten, übernahm die Polizei das Kommando in dem Knast. Schon öfter hatten die Schließer in Belgien gegen die Überbelegung und die miesen Bedingungen in belgischen Knästen gestreikt. Was an diesem Tag geschah, schildert der Vorsitzende der Anstaltskommission wie folgt: „An diesem Tag wurde das Gefängnis von Forest von Polizisten des Bereichs Brüssel-Süd besetzt, die buchstäblich die Macht in der Einrichtung übernommen haben, wo sie den Schrecken haben herrschen lassen“. Tatsächlich wurde ein Gefangener so schwer zusammengeschlagen, daß der Notarzt kommen mußte. Ein anderer Gefangener wurde mit dem Knüppel auf Rücken und Hoden geschlagen. Ein ehemaliger Kollege, der nun selber im Knast saß, wurde von den Polizisten die ganze Nacht so sehr drangsaliert, daß er sich das Leben nehmen wollte. Offensichtlich sind diese Aufsichtskommissionen in Belgien nicht ganz so anstaltskonform wie die meisten Anstaltsbeiräte hierzulande. Sonst wäre dieser Vorfall vermutlich nie an die Öffentlichkeit gekommen.
Vergleiche Rückblick: Als es 1990 eine Welle von Dachbesetzungen gab, wurden die beteiligten Gefangenen z.B. in der JVA Straubing schwer mißhandelt. Nach der Räumung des Knastdaches, wurden sie mit gefesselten Händen durch die Dachluken geworfen, wodurch es zu den ersten Knochenbrüchen kam. Anschließend war Spießrutenlaufen auf dem Speicher des Knasts angesagt. Sie wurden durch ein Spalier von Bereitschaftsbullen getrieben, die in wilder Wut auf die Gefangenen einschlugen. Manche Gefangene waren noch Wochen danach „nicht verzeigbar“. - Nichts davon drang an die Öffentlichkeit. Was einerseits für die „Qualität“ des dortigen Anstaltsbeirats spricht. Die besonders rigide Zensur in Bayern sorgt natürlich ebenfalls dafür, daß möglichst nichts nach draußen dringt. Aktuell: Ohne den engagierten Notarzt, wäre wohl auch der Fall in Nürnberg (siehe unten)unter der Decke des Schweigens verschwunden.
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So werden die Knäste gefüllt
16.November, 6 Uhr, Hamburg, S-Bahnhof Reeperbahn: Ein 27-Jähriger mißachtet das Rauchverbot. Zum Glück wird unsere Freiheit nicht nur am Hindukusch, sondern auch in den S-Bahnhöfen verteidigt. Entschlossen schreitet der Bundesgrenzschutz ein. Bei der Überprüfung des Mannes stellen die Beamten schnell fest, daß ihnen da ein dicker Fisch ins Netz gegangen ist. Gegen den Übeltäter liegt ein Haftbefehl vor. Wegen Schwarzfahren muß er noch 80 Tage brummen, weil er die Geldstrafe nicht bezahlen kann. Damit nicht genug. In seinen Taschen findet sich auch noch ein bißchen Shit. Jetzt erwartet ihn neben den 80 Tagen auch noch ein Drogenprozeß. Tja, die Justiz gönnt sich ja sonst nichts. Ein banaler Fall werdet ihr jetzt sagen. Bloß, die Knäste sind voll mit solch banalen Fällen. In Berlin gibt es einen Knast, da sitzen 50% Schwarzfahrer. Mehr als 10% aller Gefangenen sitzen wegen nichtbezahlter Geldstrafen, viele davon wegen Schwarzfahren. Auf die Überbelegung in den Knästen reagiert die herrschende Politik mit Knastneubauten.
Billiger und sinnvoller wäre es, nicht einfach jeden Eierdieb einzusperren. Ebenfalls: Nulltarif für öffentlichen Nahverkehr! Zumindest für arme Schlucker. Entkriminalisierung spezifischer Genussmittel (Drogen)! §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§
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Das große Mißverständnis
Wenn wir von einer Gesellschaft ohne Knäste sprechen, meinen viele unserer GesprächspartnerInnen DIESE Gesellschaft ohne Knäste und halten dies für eine Utopie. Sie haben recht. Diese Gesellschaft ist so sehr auf Konkurrenz, Gewalt und Macht aufgebaut, daß sie ohne Knäste oder andere Formen von Strafe nicht existieren kann. Aber ist es nicht naiv zu glauben, daß dieses Gesellschaftmodell der Weisheit letzter Schluß ist? Ist es wirklich total unrealistisch zu glauben, daß sich Gesellschaften auch mal anders organisieren könnten? Von Klein an sind wir in dieser Gesellschaft mit Gewalt und Strafe konfrontiert. Vieles davon ist durch die krasse öknomische Ungerechtigkeit in dieser Gesellschaft bedingt. Wenn das Kind hungrig in den Kindergarten geht, weil die Eltern (oftmals auch nur die Mutter)zum unteren Drittel der Gesellschaft gehören, so ist dies natürlich Gewalt. Und das Kind empfindet es natürlich als Strafe, wenn ihm vieles vorenthalten wird, was für Kinder reicher Eltern selbstverständlich ist. Diese Gewalt setzt sich dann nahtlos in der Schule fort (Über das Schulsystem ließen sich mehr als nur ein Beitrag schreiben). Wer dann nach der Schule die „Alternative“ hat, prekärer Billiglöhner oder Hartz 4-Empfänger zu werden, empfindet dies natürlich als Gewalt. Auch Strafen finden hierzulande meist auf ökonomischer Ebene statt. Bei nicht normgerechten Verhalten oder gar Aufbegehren spannt sich eine weite Kette vom Taschengeldentzug, über die Leistungsverweigerung durch die ARGE bis hin zur Geldstrafe. Selbst im Knast finden die meisten Hausstrafen auf der öknomischen Ebene statt: Einkaufssperre oder Entzug des TV.Geräts sind nur Beispiele dafür. Eine ökonomisch extrem ungerechte Gesellschaft läßt sich eben nur mit Gewalt und durchsetzen.
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Gewalt erzeugt Gegengewalt
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Wer durchbricht die Gewaltspirale?
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Es existiert aber auch unbestreitbar direkte körperliche Gewalt. Diese direkte Gewalt gibt es auf individueller und auf staatlicher Ebene. Beide mit steigender Tendenz. Beide haben miteinander zu tun und schaukeln sich gegenseitig hoch. Anders ausgedrückt: Je gewalttätiger ein Staat ist, desto gewalttätiger wird die Bevölkerung. Dies zeigt sich exemplarisch an der Beziehung Krieg und Knast. Staaten welche Krieg führen verzeichnen einen Anstieg der Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft. Nach einer neueren Untersuchung sind über 10% aller Gefangenen in Großbritannien ehemalige Soldaten. In den USA gab es ähnliche Erfahrungen mit Vietnam-Veteranen. Wer von Staats wegen töten darf, verliert eben eine natürliche Hemmschwelle. Ähnliches gilt auch für die Todesstrafe. Wer seiner Bevölkerung sagt, daß Töten unter bestimmten Umständen erlaubt und erwünscht ist, ja, was sendet der für ein Signal aus? Aber auch individuelle Gewalt schaukelt sich manchmal hoch, ja sie „vererbt“ sich teilweise. Unbestritten sind viele gewalttätige Menschen als Kinder selbst Opfer von Gewalt gewesen. Der 5-jährige, der mißhandelt wird, wird von allen bedauert, die BLÖD-Zeitung voran. Zehn Jahre später schlägt er selbst zu und ist plötzlich „die Bestie“. Um es mit der BLÖD-Zeitung auszudrücken. Individuelle Gewalt ist aber oftmals nicht nur Reaktion auf selbst erlebte körperliche Gewalt, sondern häufig auch Reaktion auf strukturelle soziale Gewalt. Staatliche Gewaltausübung dient aber nicht nur der Aufrechterhaltung der ungerechten gesellschaftlichen Verhältnisse. Sie befriedigt auch die Gewaltphantasien derer,die aus irgendwelchen Gründen davor zurückschrecken, selbst individuelle Gewalt auszuüben.
Abolitionismus ist kein Selbstzweck
Wenn wir unser Ziel einer „Gesellschaft ohne Knäste“ formulieren hören wir oft die Frage, was uns das hier und heute nützt? Wenn wir sagen, daß dies ein langfristiges Ziel ist, daß sich unter den derzeit herrschenden gewalttätigen Gesellschaftsbedingungen nicht unmittelbar verwirklichen läßt, so bedeutet dies nicht, daß wir nun tatenlos warten, bis die entsprechenden gesellschaftlichen Bedingungen verwirklicht sind. Nein, kleine Schritte sind jetzt schon erforderlich. Grade weil uns das große Ziel die Richtung vorgibt, laufen wir nicht Gefahr reformistisch zu werden. Reformismus bedeutet, das bestehende Unrechtssystem zu verbessern. Etwas, das grundsätzlich falsch ist, kann aus unserer Sicht aber nicht verbessert werden. Wir können nur versuchen, das System Schritt für Schritt zurückzudrängen.

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Recht auf Rausch
Was soll die Gesellschaft mit einem Menschen machen, der von seiner (Heroin-)Sucht nicht mehr los kommt und deshalb immer wieder Eigentumsdelikte begeht, um seine Sucht zu finanzieren? Eine Antwort wäre, dem Menschen einfach sein Heroin zu geben, damit er nicht mehr klauen oder Raubüberfälle begehen muß. So etwas ist in dieser Gesellschaft leider undenkbar. Warum eigentlich? Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist ein Prozeß gegen einen 39-jährigen, der vor kurzem in Braunschweig stattgefunden hat. Der Angeklagte hatte mehrere erfolglose Therapien hinter sich. Der Gutachter attestierte, daß er wahrscheinlich nie mehr von seiner Sucht loskommt. Was also tun? Hier offenbart sich das Dilemma der herrschenden Drogenpolitik. Ein Recht auf Rausch existiert allenfalls in bayrischen Bierzelten. Es hat uns schon positiv überrascht, daß die LINKE in NRW das Recht auf Rausch beschließen wollte. Leider, oder erwartungsgemäß hat sie dann auf der Zielgerade doch der Mut verlassen. So bleibt die Drogenpolitik zwischen den Extremen Abstinenz und Wegsperren gefangen. Ein relativ freies Leben als Süchtiger bleibt in dieser Gesellschaft erstmal Utopie. Angesichts der (in jeder Beziehung) beschränkten gesellschaftlichen Alternativen entschied sich das Landgericht Braunschweig dann „folgerichtig“ für das Wegsperren für immer und verhängte Sicherungsverwahrung. Da der Schwerstabhängige die gesellschaftliche Abstinenzforderung nicht erfüllen kann und das Recht auf Rausch konsequent verweigert wird, war dieser Schritt ebenso logisch wie pervers. Wer die Knäste so vehement mit Suchtkranken füllt, muss natürlich ständig neue Knäste bauen. Was bleibt ist die Hoffnung, daß irgendwann mal die Mehrheit der Gesellschaft den Wahnsinn dieses Handelns einsieht.
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Todesursache: Knast
Jedes Jahr gibt es etwa 100 Suizide in Deutschlands Knästen. Über die Zahl der Suizidversuche gibt es keine Zahlen. Nach einer Untersuchung denken 40% aller Gefangenen an Selbstmord. Vermutlich liegt die Zahl noch wesentlich höher. Warum werden diese Hilferufe draußen kaum wahrgenommen? Liegt es nur an den dicken Knastmauern? Oder liegt es nicht eher daran, daß viele draußen nicht hinhören wollen? Die Toten werden still und heimlich weggebracht. Der Hausarbeiter putzt die Zelle. Und niemand draußen hats gemerkt. Akte zu und weiter geht’s. Der Fall von David S. ist deshalb aussergewöhnlich, weil er öffentliche Aufmerksamkeit erregt hat. Was war geschehen? In den frühen Morgenstunden des 16. Juli 2008 schnitt sich David S. in seiner Zelle im Nürnberger Knast die Pulsadern auf. Fünf Monate saß er dort in Untersuchungshaft. Fünf Monate, in denen er nicht mal seinen Eltern schreiben durfte, geschweige denn Besuch empfangen. Die Begründung: da er nicht geständig sei, bestehe Verdunklungsgefahr. Kleiner rechtlicher Hinweis: Kein Gefangener ist zum Geständnis verpflichtet, nicht mal in Bayern. Erst zwei Monate nach seinem Tod erhielten seine Eltern 4 Briefe, die David während seiner Haft an sie geschrieben hatte. Diese Briefe hatten die Anstalt aber nie verlassen. Nach 5 Monaten war David dann offensichtlich so verzweifelt, daß er „ein Zeichen“ setzen wollte. Kurz nachdem er sich die Pulsadern aufgeschnitten hatte, drückte David den Notruf. Was dann folgte, ist ein Lehrstück in Sachen medizinischer Versorgung im Knast. Zwei Schließer rückten an, öffneten die sogenannte Kostklappe (eine kleine Luke in der Tür). Sie sahen den blutverschmierten und um Hilfe rufenden David. Auch Mitgefangene, welche die Hilferufe von David hörten, schlugen Alarm. Statt sofort den Notarzt zu rufen, benachrichtigten die beiden Schließer erstmal den Knastsanitäter Ilja S. Nach einer halben Stunde traf dieser dann endlich vor Ort ein. Auch er rief nicht sofort den Notarzt, sondern telefonierte erstmal mit dem Anstaltsarzt Dr.Kurt Paulus. Dieser wollte weder in die JVA kommen, noch riet er dazu den Notarzt zu rufen. Stattdessen empfahl er Pflaster und stündliche Beobachtung. Er wollte dann am nächsten Tag nach David sehen. Eine Stunde nach diesem Telefonat war David schon tot. Einge Mitgefangene hörten, wie die Beamten darüber diskutierten, ob sie denn überhaupt befugt seien, den Notarzt zu rufen. Der um Hilfe rufende David wurde angeschnauzt, er soll „sich zusammenreißen“. Sie beschlossen dann David mit dem Rollstuhl in die Sanitätsabteilung zu bringen. Erst als David in einen sogenannten Blutungsschock fiel, entschloß man sich doch, den Notarzt zu rufen. Viel zu spät. Dieser konnte um 3.51 Uhr nur noch den Tod von David feststellen. Am 11.11.2009 begann in Nürnberg der Prozeß gegen den Knastarzt Dr.Kurt Paulus und den Sanitäter Ilja S. Der viel zu spät gerufene Notarzt machte als Zeuge keinen Hehl aus seinem Entsetzen über den Dilettantismus des medizinischen Personals. Wörtlich: „Für jeden, der nur ein bißchen Ahnung von Medizin hat, ist ersichtlich, daß das so nicht geht“. Pflaster seien zur Versorgung solch tiefer Wunden absolut nicht geeignet. Ebenso unsinnig sei der Transport auf die Krankenstation gewesen. Stattdessen hätte man sofort den Notarzt rufen müssen. Während der Anstaltsleiter immer noch großes Vertrauen in Dr. Paulus hat, klagt der Hausarbeiter, der am nächsten Tag die blutverschmierte Zelle putzen mußte, seither über Schlaflosigkeit. Noch läuft dieser Prozeß. Wir wissen nicht, ob es noch vor dem Druck dieser Straflosausgabe noch zu einem Urteil kommt. Wir werden aber auf alle Fälle in der nächsten Ausgabe weiter informieren.
Nur ein Versagen der Einzelnen?
Das Urteil ist gar nicht das, was die meiste Aufmerksamkeit verdient. Justiz kann, wie immer, fast nur persönliches Versagen be- und verurteilen. Der Fehler liegt aber im System. Tausende Gefangene können ein Lied singen von der mangelhaften medizinischen Versorgung, im Notfall und im Alltag. Bei zahlreichen Todesfällen während und nach der Haft kommt aber eine (Mit-)Verantwortung der Knastmedizin (z.B. verspätete Diagnose) gar nicht ins Blickfeld. Erst recht, wenn es nicht um Leben oder Tod, sondern "nur" um vermeidbare Schmerzen geht. Wen interessiert das außer die Betroffenen? Der Kern des Problems ist: Gefangene können keinen Arzt ihres Vertrauens wählen. Der/die zuständige Mediziner/in ist bei der Gefängnisverwaltung angestellt, genießt deren Vertauen. Er/sie ist Teil des Strafsystems, muß z.B. beurteilen, ob Gefangene aus medizinischer Sicht "arrestfähig" sind, also eine Sonderstrafe durchstehen können. Da Gefängnisärzte auch "draußen" kein besonders Ansehen genießen, landen in dieser Position meist nicht die besonders Fähigen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen ist es wohl auch nicht soziales Engagement, das medizinisches Personal an die doppelt und dreifach verriegelten Orte verschlägt. Dass die Sanitäter im vorliegenden Fall diskurierten, ob sie eine Notarzt von außerhalb des Justisapparates rufen "dürfen", hat mit dieser Grundstruktur zu tun. Not gab es ja offensichtlich. Aber halt diese leidige Zuständigkeitsfrage. Ab wann ist die Not des Gefangenen groß genug, diese Barriere zu überwinden? Medizinische (Nicht-)Versorgung unter solchen Bedingungen ist unwürdig, schmerzbringend, teilweise lebensgefährlich bzw. tatsächlich Tod bringend.
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In eigener Sache! In gemeinsamer Sache?
Diese Streitschrift wird kostenlos verteilt an Gefangene und Interessierte „draußen“. Finanzierung ist nie gesichert. Die, die noch nicht hinter Gittern sitzen, werden gebeten, das Projekt durch Spenden zu unterstützen. Wir bitten besonders politische/soziale Initiativen, bei der Verbreitung behilflich zu sein - d.h. regelmäßige Abnahme einer Anzahl Exemplare - und sich an unseren Kosten durch einen Dauerauftrag oder periodische Spenden zu beteiligen. Unsere Veröffentlichungsmöglichkeiten in „kumm erus/Unbequeme Nachrichten“ sind mangels Unterstützung verloren gegangen. Auf ein Neues!
Impressum: akp-koeln Konto: zosamme eV, Kto: 535348006, BLZ: 37160087, Kölner Bank, Verwendungszweck: straflos

Weiterer Anlauf

Lange ist es hier bewegungslos geblieben. Die Papierausgabe von "Unbequeme Nachrichten", Beilage der "kumm erus", haben wir nicht mehr gemacht. Einerseits, weil wir keinen korrekten Vertrieb mehr hatten (- die Zeitung wurde fast ausschließlich als "Obdachlosenzeitung" angeboten -), andererseits wegen Finanzierungsschwierigekeiten. Wir waren auch etwas entmutigt, dass es bei der Netzausgabe keine Reaktionen, keine Rückkopplungen gab. Deshalb haben wir auch hier nicht weiter gemacht, war diese "Baustelle" stillgelegt. Jetzt haben wir aber wieder mit einer kleinen Veröffentlichungsinitiative auf Papier angefangen und wollen wir dies auch im Netz greifbar machen: STRAFLOS, Abolitionistische Streitschrift.