Montag, 21. Februar 2011

STRAFLOS Nr 4

STRAFLOS

abolitionistische Streitschrift

Nr.4, 1.Quartal 2011

In unregelmäßigen Abständen veröffentlichen wir eine "abolitionistische Streitschrift", ein Art Flugblatt für die angeblich freiheitlichen, emanzipatorischen Bewegungen, die beim Thema Strafjustiz und Gefängnisse teilweise doch nicht konsequent freiheitlich denken und argumentieren, Flugblatt auch für einen kleinen Verteiler engagierter Gefangener. Wir wollen damit das Bewußtsein wach halten bzw. anstoßen, dass Strafen und Wegsperren logische Konsequenzen einer von Macht geprägten Gesellschaft sind, dass wir auf dem Weg zu befreiter Gesellschaft andere Wege der Konfliklösung finden müssen. Vor einigen Wochen haben wir "straflos" Nr.4 fertig gestellt, in Köln an manchen Stellen verteilt und in die Knäste verschickt. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
Wir würden uns darüber freuen, wenn Interessierte an dieser Stelle über das Vorgebrachte zu diskutieren beginnen. Und wenn jemand von Euch Kontakt zu einer/einem ansatzweise systemkritischen Gefangenen hat, fänden wir es gut, wenn Ihr dieser/diesem mitteilen würdet, dass es unsere Flugschrift gibt, Gefangene diese bestellen können. Als Kostprobe könntet Ihr ja vielleicht auch erst mal die Texte von "straflos 4" an die/den betreffende/n Gefangene/n schicken ...

xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx /akp köln

straflos 4, Silvester-Knastkundgebung in Köln

In früheren Jahren gab es meist viele und teilweise langwierige Vorbereitungstreffen im Vorfeld der Silvester-Knastkundgebung. Oftmals verbunden mit der Frage, wieviel wir denn mobilisieren müssen, um wenigstens die für den Betrieb der Lautsprecher-Anlage erforderlichen 50 Leute zusammen zu kriegen. Dieses Jahr war es etwas anders. Und das ist gut so. Irgendwie waren wir alle überzeugt: Die Silvester-Knastkundgebung in Köln ist "fast" ein Selbstläufer geworden. Klar, ohne ein paar Engagierte, die sich um Anlage und LKW kümmern, gehts immer noch nicht. Aber - mit Plakaten und Flyern waren wir diesmal zurückhaltend. Wir hatten genug Vertrauen in "die Kölner Linke", daß wir einfach davon ausgingen, daß schon genug Leute kommen würden. Und so wars dann auch. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Mit etwa halbstündiger Verspätung setzten sich etwa hundertfünfzig Leute in Bewegung. Wie jedes Jahr machten wir eine halbe Runde um den Knast. Den Schließern, die in ihren Häuschen rund um das Knastgelände wohnen und somit verhindern, daß wir näher kommen, wurde ein beschissenes Jahr gewünscht. Es gab die obligatorischen Grüße an die Gefangenen in verschiedenen Sprachen. Eigentlich war es wie jedes Jahr. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Und doch - etwas war diesmal anders. Neben mir ging eine kleine, sich militant gebende Gruppe. Plötzlich begann diese Gruppe, nach "Freiheit für alle politischen Gefangenen" zu rufen. Ich war irritiert. Was war passiert? Die Rückkehr der Antiimps? Bevor ich reagieren konnte, kam aber auch schon der Konter vom größeren Teil der Demo: Freiheit für alle Gefangenen. Ich fühlte mich wieder wohl in der Demo. Einer der Schwarzgekleideten meinte dann, ob wir denn auch die Faschos freilassen wollten. Naja, auch wer Freiheit für alle "politischen Gefangenen" fordert, fordert damit auch Freiheit für die Faschos. Der aus meiner Sicht bürgerliche Begriff der "politischen Gefangenen" sagt ja nicht darüber aus, für WELCHE Politik die Leute sitzen. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Politische Gegner muß mensch anders bekämpfen. Knast geht in keinem Fall. Es gibt bestimmte Sachen die müssen wir einfach grundsätzlich ablehnen. Es käme ja auch niemand auf die Idee zu sagen: Ich bin gegen die Todesstrafe, außer für Nazis. Nein, wir sind gegen die Todesstrafe - ohne Wenn und Aber. Wir sind gegen Krieg - ohne Wenn und Aber. Wir sind gegen Ausbeutung - ohne Wenn und Aber. Und wir sind gegen Knäste - ohne Wenn und Aber. Das bedeutet jetzt nicht, daß jeder konsequenzenlos anderen wehtun kann. Aber die Konsequenz kann nicht Knast sein. Da müssen wir nach anderen Lösungen suchen. Knast ist jedenfalls keine akzeptable Lösung. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx /Gerhard xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx aus "straflos" Nr.4

strafos 4, Berlin war eine Reise wert

... ein subjektiver Bericht von den Antiknasttagen xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Vom 26.-28. November 2010 fanden in Berlin die jährlichen Antiknasttage statt. Wir fuhren zu viert aus Köln nach Berlin. Das Treffen fand im legendären Bethanien statt. Ich war gespannt. Bislang kannte ich das Bethanien ja nur aus dem Lied der Scherben: „Der Mariannenplatz war blau, so viel Bullen waren da......“ Naiv, wie wir waren, stolperten wir erstmal in das Hauptgebäude rein und waren entsetzt. Alles schien so schrecklich chic und versprühte „den Charme“ der sattsam bekannten Bürgerzentren. Der Pförtner verwies uns dann an ein Nebengebäude. Naja, dort kam uns dann alles schon wesentlich bekannter vor. Am Freitag Abend waren schätzungsweise achtzig Leute da. Am Abend gab es dann einen einzigen Workshop. Ein Genosse aus Berlin, der relativ kurze Zeit im Knast war, berichtete über seine Erfahrungen. Leider war der Raum viel zu klein und so mußten viele auf dem Boden sitzen. Da ich gesundheitlich nicht mehr der Fitteste bin, mußte ich leider nach einer Viertelstunde aufgeben. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Das Hauptprogramm fand, wie immer bei solchen Treffen, am Samstag statt. Es waren gut 100 Leute da und es fanden meist zwei Workshops parallel statt. Ich hatte einen Workshop zu Sucht und Knast vorbereitet. Zum einen bin ich selber süchtig. Zum anderen spielt Sucht in der Antiknastarbeit kaum eine Rolle, obwohl mindestens 80% der Gefangenen süchtig sind. Auch in der radikalen Linken draußen spielen Süchtige kaum eine Rolle. Und wenn es draußen kaum Berührungspunkte gibt, wieso sollte es dann im Knast anders sein? Ich bin ja selbst in Köln die große Ausnahme. Zwar werde ich von der linken Szene in Köln geduldet, obwohl ich mich offensiv zu meiner Sucht bekenne. Aber ich bin eben nicht nur der Ex-Knacki, sondern auch entschiedener Systemgegner. SystemgegnerIn zu sein bedeutet nicht nur, ein weit entferntes Ziel wie eine Fahne vor sich herzutragen, sondern es hat eben auch Auswirkungen auf das alltägliche Verhalten. Deshalb werde ich von der linken Szene einigermaßen akzeptiert. Trotzdem würde ich nicht in eine linke Wohngemeinschaft passen. Die GenossInnen würden mit mir nicht glücklich. Und ich auch nicht. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Im Moment lebe ich noch mit 2 Punks in unseren Vereinsräumen mehr schlecht als recht zusammen. Aber das klappt auch nicht. Es scheitert nicht dran, daß es bei uns dreckig und siffig ist. Die beiden Punks sind Hardcore-Alkis. Ich bin spielsüchtig und benutze den Alk praktisch als „Methadon“. Richtig nüchtern ist da selten jemand. Die meist bürgerlichen Linken würden sich in unsere Räume wahrscheinlich nicht mal mit Gummihandschuhen trauen. Also, das gemeinsame Chaos könnte ich schon mit manchen Süchtigen teilen. Aber - die zwei Punks tragen zwar groß ein riesiges A im Kreis auf der Brust, bzw. Ihre APPD-Uniformen. Bei längeren Gesprächen merkt man aber immer schnell, wieviel reaktionärer Dreck hinter der „anarchistischen“ Fassade steckt. Deshalb trennen wir uns demnächst. Allein kann ich aber die Miete für diese Vereinsräume nicht aufbringen. Deshalb müssen wir im Frühjahr die Räume aufgeben. Das wird dann wahrscheinlich für mich Obdachlosigkeit bedeuten. Jetzt werdet Ihr Euch fragen, warum ich Euch den ganzen Scheiß erzählt hab. Nun, zum einen wollt ich erklären, warum es mir so wichtig war, einen Workshop zu Sucht zu machen und andrerseits weiß ich nicht, wie es mit der „straflos“ weitergehen wird, wenn ich auf der Straße liege. Jetzt aber zurück zum Workshop in Berlin. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Im Vorfeld hatte ich ja Bedenken, ob ich überhaupt prädestiniert sei, so einen Workshop zu machen. Schließlich bin ich ja nur pathologischer Spieler und „halber“ Alkoholiker. Aber von der großen Gruppe der Junkies hab ich wenig Ahnung. Zum Glück traf ich dann am Freitagabend eine Berliner Genossin, die früher mal an der Nadel hing. Sie war zwar nie im Knast, aber zumindest zum Thema - Leben als Junkie konnte sie meine Wissenslücken ausmerzen. Mein Workshop war dann Samstagmorgen um 11 der erste. Ich sagte noch scherzhaft zu Bix: Bei dem Thema sitzen wir jetzt wahrscheinlich zu fünft. Erstaunlicherweise war der Raum dann aber proppenvoll. Ich schätze 40-50 Leute. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Ich versuchte erstmal den GenossInnen klarzumachen, wie hoch der Anteil der Süchtigen unter den Gefangenen ist. Die JVA-Bielefeld beispielsweise meldet 77%, aber da sind die Spielsüchtigen ja noch gar nicht mitgezählt und außerdem outen sich ja nicht alle Süchtigen gegenüber der Anstalt. Denn als Süchtiger hat mensch wesentlich mehr Nachteile im Knast. Wie üblich drückte ich dann mein Bedauern aus, daß es schon beinahe selbstverständlich ist, daß bei Antiknastveranstaltungen keine ehemaligen Gefangenen (zumindest keine aus dem Bereich der sogenannten „sozialen“ Gefangenen) anwesend sind. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Fast schon wehmütig berichtete ich dann von den Zeiten der Anti-Knast-Werkstatt in Köln. Ein paar Jahre nach meiner Entlassung hatte ich dieses Rauskommerprojekt initiert und in den guten Jahren des Projekts waren da schon oft 50-60 Jahre Zuchthaus versammelt. Wir beteiligten uns an Hausbesetzungen und anderen politischen Aktionen und durch unser Arbeitsprojekt waren wir in der Stadt sichtbar und präsent. Auch innerhalb der Linken hatten wir einen anderen Stellenwert als jetzt, wo ich praktisch als durchgeknallter Einzelkämpfer versuche, die Fahne hochzuhalten. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Nachdem die Genossin dann von ihren Erlebnissen während ihrer Junk-Zeit erzählt hatte, entwickelte sich eine lebhafte Diskussion. Vor allem die Frage nach Sinn oder Unsinn von Therapie wurde lebendig diskutiert. Daß Zwangstherapien einhellig abgelehnt wurden, dürfte in dem Rahmen eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Spannender wurde es schon bei der Frage, wie denn damit umzugehen sei, wenn Gefangene sich „freiwillig“ für eine Therapie entscheiden. Die Mehrheit war, so wie ich, der Ansicht, daß es sehr fragwürdig sei, in einer Zwangseinrichtung wie dem Knast überhaupt von „Freiwilligkeit“ zu sprechen. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Nach eineinhalb Stunden war bei mir aber dann auch die Luft raus. Mein Körper rief massiv nach einer Zigarette. Und so endete der erste, aus meiner Sicht gelungene, Workshop. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx /Gerhard, xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx aus "straflos" Nr.4

straflos 4, Brauchen wir „politische Gefangene“ ?

Vorankündigende Fragen für einen Workshop bei den Berliner Anti-Knasttagen xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Brauchen wir, die wir für die Abschaffung des Staates, der Repression, Strafjustiz und der Gefängnisse sind, überhaupt Gefangene? Nein! Wenn es sie aber noch gibt, brauchen wir politisch bewußte, widerständige, kämpferische und kämpfende Gefangene? Brauchen wir solidarische, mit Bewegungen draußen und mit Mitgefangenen kooperationswillige Gefangene? xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Brauchen wir „politische Gefangene“ ??? Oh je, was sind das denn überhaupt für welche? Sind das die politisch Bewußten, egal wofür sie einsitzen? Sind das im Rahmen politischer Aktionen Eingefahrene? Die, die ihre Aktion politisch begründen? Sind das also Anarchist/inn/en, Linksradikale und Nazis gleichermaßen? Sind das Genoss/inn/en im Knast? Solche, die aus den Bewegungen kommen, uns vor der Inhaftierung bekannt waren? Oder auch solche, die unangepasste Einzelgänger/innen waren bzw. sich im Knast politisieren? Gehört dazu vielleicht auch schon der „einfache“ Widerstand im Alltag? Die „einfache“ Solidarität mit Mitgefangenen? Solidarität gerade auch mit den Schwächeren, denen, die in „die Mühle“ geraten ohne dabei zu denunzieren.? Sind das politisch Aktive oder Opfer einer systemstabilisierenden, einer politischen Justiz? Im letzteren Sinn wären ALLE Gefangenen „politische Gefangene“, denn unser auf „teile und herrsche“ beruhendes Rechtssystem ist - wie jedes andere auch - ein politisches. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Oder ist „politische Gefangene“ eine Begrifflichkeit, die von unserer Seite her abgrenzen soll? Von den uns nicht bekannten Gefangenen, mit denen wir auch nichts zu tun haben? Von den „Verbrechern“, die wir bloß nicht so zu nennen wagen, die uns aber auch nicht geheuer sind? Sind „unsere“ Gefangenen, die „politischen“ Gefangenen also die „guten“ Gefangenen, welche damit von dem Stigma befreit sind, das Gefangenen normalerweise anhaftet? Brauchen Gefangene aus den Bewegungen diese Sonder-Etikettierung als Qualitätsmerkmal? Brauchen die Bewegungen draußen sie, um sich nicht mit Knast, Strafjustiz und Ausgrenzungsmustern in der Klassengesellschaft auseinander setzen zu müssen? Hätten sie dann nicht sogar Teilhabe am diesen? /bix xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Die „freie Diskussion“: xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Die tatsächliche Veranstaltung lief anders als erwartet. Die Frage „Brauchen wir ‘politische’ Gefangene?“ sollte eine Provokation sein, eine Aufforderung zur Auseinandersetzung. Wir waren ja bei den von unserem libertären Bündnis vereinbarten Anti-Knast-Tagen. Ich rechnete mit unterschiedlichen Positionen zur Fragestellung, wollte aber nicht dirigieren, verzichtete auch auf ein Eingangsstatement. Freiheitliche Diskussion unter freiheitlich Engagierten! Dass dann das von mir angestrebte Thema fast überhaupt nicht aufgegriffen wurde, war für mich enttäuschend. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Andererseits kamen Probleme zur Sprache, die ich nicht beiseite drängen wollte. Sich über Worte streiten zu wollen, während es als Vorwurf heraus brach, dass es viel zu wenig praktische Solidarität mit gefangenen Genoss/inn/en gäbe, erschien mir als unangemessene Wortklauberei. Denn dass die Bewegungen, die zu „Direkter Aktion“, zu Widerstand aufrufen, in der Verantwortung stehen, sich solidarisch unterstützend zu ihren gefangenen Mitgliedern zu verhalten, ist selbstverständlich. Es wurde aber mit Nachdruck beklagt, dass das nicht so sei. Bei Haftzeiten, die länger als ein paar Wochen oder Monate seien, verbleibe diese Aufgabe weitgehend bei spezialisierten Anti-Repressionsgruppen bzw. Familienmitgliedern und engen persönlichen Freund/inn/en des/der jeweiligen Gefangenen. Und es seien meistens Frauen, die eine solche Kontinuität aufrecht erhalten, während die anderen Aktivisten Wichtigeres zu tun haben, als sich um „gewaschenen Socken“ der Genossen zu kümmern. (Offensichtlich ein Beispiel aus U-Haft-Situationen) Das Ganze ist also so etwas wie eine Publikumsbeschimpfung geworden. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Es gab nur ganz wenige Teilnehmer/innen des gut besuchten Workshops, die auf den Kontakt zu Gefangenen eingingen, die nicht aus unseren Bewegungen stammen. Dabei kurz eine Auseinandersetzung darüber, ob wir, wenn wir für die Abschaffung der Knäste sind, uns mit ALLEN Gefangenen solidarisieren müssen, oder ob die Begrenzung auf „kämpfende Gefangene“ unseren Zielsetzungen entspreche. Eine Genossin sagte, bei erster schriftlicher Kontaktaufnahme würden manche Gefangene „ sich entschuldigend“ vorstellen, sie seinen keine „politischen Gefangenen“. Offensichtlich mit der Befürchtung, dann nicht wichtig genug zu sein, dass man/frau sich mit ihnen auseinandnersetze. Sie hätten das Gefühl nicht das nötige Diplom zu haben. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Also auch die, die dadurch ausgegrenzt werden, beziehen sich auf diese Begrifflichkeit. Und sie wurde von fast allen Diskutierenden unhinterfragt eingesetzt. Ein Genosse vom ABC Berlin erklärte, es sei ihm gar nicht verständlich, warum das Thema überhaupt diskutiert werde. Das Motte der Anti-Knast-Tage „Mit der Knastgesellschaft brechen und der Welt, die sie hervorbringt“ besage doch klar und deutlich, dass es um ALLE und ALLES gehe, um ALLE Repressions-, Ausgrenzungs- und Machtstrukturen, um alle Gefangene hinter Gittern und die angeblich „Freien“ in der unfreien Gesellschaft. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Einverstanden, das Motto besagte dies! Und es gab auch Workshops zum Knastsytem allgemein. Meines Erachtens bleibt aber auch in den libertären Bewegungen vieles bloße Parole. Zwar stellen die Berliner ABC-Genoss/inn/en auch die „straflos“ und den „Mauerfall“ solidarisch auf ihre Website. Wenn wir uns aber deren eigene Veröffentlichungen ansehen, geht es fast ausschließlich um anarchistische Genoss/inn/en weltweit, deren Situation, deren Kämpfe. Und auch die Bezeichnung „politische Gefangene“ scheint kaum problematisiert zu werden. Die Ausnahme: Ein ABC-Genosse aus Wien versuchte relativ gegen Ende, als schon viel gesagt war, doch noch auf das von mir intendierte Thema hin zu steuern. Er lehne diese Begrifflichkeit ab, bedauere, dass das nicht diskutiert werde. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Dafür war ich dankbar. Spätestens das hätte ich aufgreifen sollen, zumindest als eine Art Abschluss-Statement. Ich habe diese Chance verpasst, war zu überrascht und erstaunt über den bisherigen Verlauf, hatte mich auch so darauf versteift „mein“ Thema nicht durchdrücken zu wollen, wenn die Versammelten kein Interesse daran zu haben scheinen. Ich hatte Angst gehabt als dogmatisch zu erscheinen. Auf der anderen Seite: Die meisten Anwesenden haben geschwiegen. Das alles so „freiheitlich“ laufen zu lassen, selbst stumme Zuhörerin zu werden, war wohl eine Art Gewalt gegen diese Mehrheit. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx  
Das versäumte Abschluss-Statement xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Der Wiener Genosse sagte, die Fragen der schriftlichen Vorankündigung seien verständlich gewesen. Sie sind nicht diskutiert worden. Mein Fehler, denn ich habe sie nicht noch mal gestellt. Allerdings hatte ich dann das Gefühl, das, was sich Bahn gebrochen hat, die Klage über mangelnde praktische Solidarität gegenüber gefangenen Genoss/inn/en aus unseren Bewegungen, nicht weggedrängt werden dürfe. Das ist ein Widerspruch innerhalb der Bewegungen. Das ist ein Problem. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Trotzdem jetzt noch ein Versuch, meine Ausgangspunkte, meine Diskussionsmotivation anzusprechen. Meines Erachtens brauchen wir, so lange es noch Gefängnisse gibt, (wie in allen Bereichen gesellschaftlicher Konflikte) politisch bewußte, widerständige, kämpferische und kämpfende Menschen. Wir brauchen solidarische, mit Mitgefangenen und mit Bewegungen draußen kooperationswillige Gefangene. Auch wir „draußen“ sind mit Repression konfrontiert und von Knast bedroht. Wir brauchen Zusammehalt gemeinsam Betroffener (ohne graduelle Unterschiede zu übersehen). Dabei geht es mir bzw. uns aber auch um die Fragwürdigkeit der Begrifflichkeit „politsche Gefangen“. Und wir vom AKP haben das Problem, mit dieser Position in der „Szene“ oft ziemlich alleine zu stehen. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Der Mensch allgemein ist ein „homo politicus“, braucht andere und wird von anderen gebraucht. Die stereotype Klassifizierung der uns bekannten Genoss/inn/en wirkt u.E. spalterisch in Bezug auf die Gesamtheit der Gefangenen, ist außerdem mehrdeutig irreführend. „Politisch“ allein besagt gar nichts. Das müßte doch näher definiert werden. Sind sie Opfer einer Politik oder Subjekte politischen Handelns? Und welcher Art der Politik: die der Unterdrückung oder die der Befreiung? Entschuldigung, das sind weiterhin Fragen. Sie bleiben als solche bestehen. Wenn es um die MOTIVATION für die „Straftat“ geht: auch Nazis handeln politisch motiviert. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Doch stellen wir das mit der Mehrdeutigkeit mal beisteite. Ich weiß es ja und wir wissen es alle: Wenn WIR das sagen, dann meinen wir Menschen aus UNSEREN Kreisen, UNSEREN Bewegungen, wenn sie in die Fänge der Justiz geraten sind. Und zwar, wenn sie ihre Tat politisch begründen, nicht wenn sie „ganz privat“ in Schwierigkeiten geraten sind. Und es wird auch nicht unbedingt diskutiert, wie sie sich im Knast „politisch“ verhalten..Warum diese Begrifflichkeit „politische Gefangene“ als statisches Etikett, als anerkennender Orden? Als Abgrenzung von den anderen, als Ausgrenzung. Das begrenzt unseren Blick auf das Repressionssystem, auf Klassenjustiz. Es macht die Gefangenen unsichtbar oder der Zuwendung unwürdig, die sich erst im Knast politisieren oder sich als frühere Einzelkämpfer/innen an uns wenden. Wir können aber die, die im Knast nicht nach oben buckeln und nach unten treten, als unsere Mitkämpfenden brauchen. Auch wenn wir mit vielen von ihnen noch über weitreichende Ziele diskutieren müssen. Aber das müssen wir revolutionär Orientierte ja ebenfalls miteinander. Ich hoffe u.a. in der „Szene“ auf eine Diskussion hinsichtlich der von mir in den Raum gestellten Fragen, ein anderes Mal. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx  
bix aus "straflos" Nr.4 
1. Quaeral 2011

straflos 4, Mein Senf angefragt

Bix hat gemeint, da fehle noch ein Nachtrag zu ihrem Bericht. Obwohl ich diesen schon recht umfassend finde, will ich trotzdem noch meine Meinung zum Thema sagen, die weitgehend auf den Erfahrungen meiner eigenen Knastzeit beruht. Für mich war es erst mal alles ziemlich klar. Wenn Du in den Knast kommst, gibt es zwei Klassen: Die, die eingesperrt werden und die, die einsperren. Wer Freund und wer Feind war, war immer klar. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass es unter den Eingesperrten ausgesprochene Unsympathen und unter den Schließern ein paar weniger Schlimme gibt. Dies ändert nichts am Grenzverlauf. Wenn wir in meiner späteren Knastzeit bei Aktionen Forderungen gestellt haben, waren dies Forderungen für ALLE Gefangenen. Mit Sonderforderungen für Einzelne habe ich immer meine Schwierigkeit gehabt. Obs nun um Zusammenlegung oder um Freilassung geht. Trotzdem gibt es in der alltäglichen Zusammenarbeit Unterschiede. Die praktische Arbeit im Knast und mit den Gefangenen ist aus meiner Sicht vergleichbar mit der Erwerbslosenbewegung. Natürlich sind wir generell gegen Hartz IV. Trotzdem sind manche Erwerbslose solche Ekelpakete, dass wir uns eine praktische Zusammenarbeit mit ihnen kaum vorstellen können. Trotzdem fordern wir die generelle Abschaffung von Hartz IV und nicht nur die Abschaffung für Linksradikale. Auch ich beziehe mich in der praktischen Antiknastarbeit weitgehend auf die gefangenen GenossInnen. Nur habe ich einen anderen Begriff davon, wer denn nun GenossIn sei und wer nicht. Wer seine „Klasse“ nicht verrät (im Knast also die „Klasse“ der Gefangenen) ist für mich erst mal GenossIn. Ob er nun sitzt, weil er ein Auto abgefackelt oder weil er ne Spielhalle überfallen hat, um seine Sucht zu finanzieren, ist mir dabei scheißegal. Irgendwie würden die meisten das jetzt in die Schublade „kämpfende Gefangene“ stecken. Wobei ich diese Schubladen ablehne, weil sie einfach spalten und ich sie teilweise auch absurd finde. Niemand käme wohl auf die Idee, bei einer Erwerbslosenaktion „Mehr Geld für alle politischen Hartz IV-EmpfängerInnen“ zu fordern. Warum wir das im Antiknastbereich machen, sollte uns allen zu denken geben. /Gerhard aus "straflos" Nr.4