Freitag, 16. November 2012

Straflos 5, Ganz schön mutig

Ganz schön mutig !!!



Trotz des Warnhinweises auf meinem T-Shirt hast Du dieses Flugblatt entgegengenommen. Und? Geht’s Dir noch gut? Alles in Ordnung?

Genau wie Karl D. saß ich einige Jahre im bayrischen Zuchthaus Straubing ein. Genau wie Karl D. galt ich bei meiner Entlassung als weiterhin gefährlich. Meine Entlassungsprognose lautete, dass ich ein gefährlicher Rückfalltäter sei, der innerhalb kürzester Zeit wieder schwerste Straftaten begehen würde. Das war vor über 22 Jahren. Naja, so ganz unrecht hatten sie ja nicht. Ich hab mich ja wirklich an einigen Hausbesetzungen und unangemeldeten Kundgebungen beteiligt. Aus CSU-Sicht natürlich schwerste Straftaten. Leider, leider, gab es damals das Instrument der nachträglichen Sicherungsverwahrung noch nicht und so mussten sie mich am letzten Tag meiner Strafe schweren Herzens entlassen. Hätte es die nachträgliche Sicherungsverwahrung damals schon gegeben, wäre ich heute sicherlich einer dieser Altfälle, vor deren möglichen Entlassung jetzt teilweise schon hysterisch gewarnt wird.

Außer dass wir beide im Straubinger Knast saßen und von Sicherungsverwahrung bedroht waren (mich hat nur die Gnade der frühen Inhaftierung davor bewahrt), haben Karl D. und ich wahrscheinlich wenig gemeinsam. Ich halte Vergewaltigung mit für das Schlimmste, was Menschen anderen Menschen antun können. Karl D. wird vielleicht noch akzeptieren können, dass ich Bankräuber war. Dass ich aber als Anarchist unsere bürgerlich-kapitalistische Gesellschaftsordnung ablehne, wird bei ihm wahrscheinlich auf wenig Verständnis stoßen. Andrerseits macht diese Diskrepanz zwischen Karl D. und mir auch das ganze Spektrum der Sicherungsverwahrung deutlich. Entgegen der landläufigen Meinung sitzen eben nicht nur Sexualstraftäter in der Sicherungsverwahrung. Sexualstraftäter machen gut die Hälfte der Sicherungsverwahrten aus. Die andere Hälfte sind nach wie vor Bankräuber, Einbrecher, Betrüger bis hin zum Heiratsschwindler. Letztere sollen zwar nach dem neuen Gesetz nicht mehr in der SV landen, aber das gilt nur für zukünftige Fälle.
Natürlich gilt meine Sympathie erst mal der zweiten Gruppe der Verwahrten. Warum beispielsweise Bankräuber in der Sicherungsverwahrung bleiben sollen, erschließt sich mir überhaupt nicht. Die meisten sitzen wegen Überfällen, die sie vor 20 und mehr Jahren begangen haben. Bankraub ist ein aussterbendes Gewerbe. Banken haben großteils die Kassen abgeschafft, sind zeitschlossgesichert und so weiter und so fort. Die Banken können sich selber ganz gut schützen. Da braucht es keinen Staat, der die Leute lebenslang wegsperrt.
Obwohl ich keine Sympathie für Vergewaltiger habe, halte ich Sicherungsverwahrung auch hier für keine Lösung. Falsche Instrumente werden nicht dadurch besser, dass sie möglicherweise „die Richtigen“ treffen. Die Todesstrafe wird keinen Deut besser, wenn der Hingerichtete ein Serienvergewaltiger ist. Es gibt sicherlich Menschen, vor denen wir uns schützen wollen. Leider, leider ist es in dieser Gesellschaft kaum möglich, ernsthaft darüber zu diskutieren, wie denn dieser Schutz aussehen könnte, ohne dass er unseren Vorstellungen von Menschenwürde widerspricht. Die reaktionären Kräfte reden zwar von Schutz, meinen aber Strafe und Rache. Das bestimmt die Diskussion und das politische Handeln.

Wer ist überhaupt gefährlich und für wen?

In NRW könnten bis zum Jahresende möglicherweise bis zu 70 Sicherungsverwahrteentlassen werden. In manchen Medien wird bereits die Hysterie geschürt. Es ist schon absurd, wenn selbst die Polizei diese Hysterie bremsen muss. Zitat: „Die sind ja nicht alle gefährlich.“ Stellt sich die Frage, warum die dann überhaupt in der Sicherungsverwahrung waren. Prognosen - wie meine eingangs erwähnte Entlassungsprognose - sind eben keine Ausnahme, sondern die Regel. Ein System, das lieber 10 Ungefährliche im Knast verschmoren lässt, als einen möglicherweise Gefährlichen rauszulassen, entspricht nicht meinem Weltbild. Ein Grund für mich Systemgegner zu sein.


aus straflos 5
2.Quartal 2011
Flugblatt zur Kölner Premiere des Dokumentarfilms "Auf Teufel komm raus"

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