Samstag, 17. November 2012

straflos 8, Made in Zwangsarbeit

Made in Zwangsarbeit

ZF-Chef Sommer liebt kostspielige Oldtimer. So nennt er unter anderem fünf luftgekühlte Porsche sein eigen. Der Chef von Deutschlands drittgrößtem Automobilzulieferer kann sich das auch locker leisten. Schließlich weiß er, wie man Profit macht. Er droht mit dem Wegfall von tausend Stellen. Setzt die eigenen Zulieferer massiv unter Druck und last but not least läßt er im Knast produzieren. Kein Wunder, dass er kürzlich einen Rekordgewinn verkünden konnte. Wir wissen jetzt nicht, in welchen Knästen der Gute sonst noch zwangsarbeiten läßt, denn die Knäste geben in der Regel die Namen der Privatkapitalisten, die dort produzieren lassen, nicht preis. Zum Glück hat der Leiter der Zwangsarbeitsabteilung in der JVA Ravensburg, Otto Oberländer, gegenüber der „Welt am Sonntag“ diese Regel durchbrochen. Dies gibt uns die Möglichkeit, uns in dieser straflos-Ausgabe mit dem Thema Zwangsarbeit in den Knästen auseinanderzusetzen.

Der Geschäftsführer plaudert

Bis 2009 litten die Knast-Zwangsarbeitsbetriebe noch unter der Billigkonkurrenz aus Osteuropa. Seit 2010 allerdings brummt nun der Laden. Bayerns Knäste erwirtschafteten zuletzt 43,6 Millionen Euro, die in Baden-Württemberg immerhin 30 Millionen. Dies hat mehrere Gründe. In Osteuropa sind die Arbeitskosten gestiegen. Hinzu kommen noch die Transportkosten. Hinzu kommen noch ganz besondere „Vorteile“ der Zwangsarbeit im Knast. Die Kapitalisten müssen kein Geld für Erwerb oder Miete der Produktionsstätten ausgeben. Ebenso wenig für den Unterhalt. Für Produkte aus dem Knast fällt auch keine Mehrwertsteuer an. Für die gefangenen ZwangsarbeiterInnen zahlen die Firmen an die Anstalt Stundenlöhne von 3,50 bis 6,50. Dies liegt deutlich unter dem Mindestlohn für Leiharbeiter. Die Gefangenen selbst erhalten davon zwischen 1,- bis 1,97 Euro, wovon sie für 3/7 einkaufen dürfen. Im Klartext: Zwangsarbeitende Gefangene können pro Stunde für ca. 40 – 90 Cent Zusatznahrung oder Genußmittel einkaufen.
Hier sieht der Chef der Zwangsarbeit in der JVA-Ravensburg auch ein Motivationsproblem. Bei so niedrigen „Löhnen“ läge die Leistungsbereitschaft nur bei etwa 70%. Derzeit erhalten die Gefangenen 5% der sogenannten Eckvergütung. Das ist so etwas wie ein fiktiver Durchschnittslohn draußen. Diese 5% bestehen seit der Einführung des Strafvollzugsgesetzes. Dort steht übrigens auch, daß diese 5% stetig angehoben werden sollen, bis zur Angleichung der Bezahlung draußen. Klar hat es bisher bisher noch keine Anhebung dieser 5% gegeben. Das Strafvollzugsgesetz existiert aber auch erst seit 35 Jahren. Bis sich da was tut, werden die Gefangenen wohl bis „nach der Revolution“ warten müssen. Das kann allerdings noch ein bißchen dauern. Andrerseits brauchen wir den Scheiß dann eh nicht mehr, weils dann weder Knäste noch Zwangsarbeit gibt. (falls die Revolution ihren Namen verdient!die Setzerin) Aber auch für das Motivationsproblem hat Otto Oberländer eine Lösung: Er bringt den Gefangenen manchmal eine Leberkäs-Semmel mit oder auch mal ne Cola.
Im Übrigen arbeiten nach seiner Aussage ohnehin 80% der Gefangenen „freiwillig“. Anders ausgedrückt: 20% der Gefangenen arbeiten nicht „freiwillig“, sind also klassische Zwangsarbeiter. Die „Freiwilligkeit“ der übrigen 80% ist wohl vergleichbar mit der von Arbeitslosen und BilliglöhnerInnen draußen. Wenn nur die Wahl zwischen zwei Übeln besteht, kann mensch aus unserer Sicht nicht von Freiwilligkeit sprechen.
Oberländers „Strolche“, wie er „seine“ Gefangenen nennt, arbeiten nicht nur für ZF, sondern unter anderem auch für die Firma Gardena. Europas Marktführer in Sachen Gartengeräte läßt im Knast Gartenduschen produzieren. Neben der JVA Ravensburg zumindest auch in der JVA Ulm.
Unschlagbar sei der Knast bei der Bewältigung von Produktionsspitzen, „da schnell und unbürokratisch auf die Arbeitskraft der durchaus motivierten Insassen zurückgegriffen werden könne“, heißt es in der Werbebroschüre der JVA.
Gardena schätzt diese Vorteile. Sobald es sommerlich warm wird, werden in der JVA Ravensburg Gartenduschen montiert. Regnet es, wird die Produktion schnell zurückgefahren. „Das könnten wir woanders schlecht machen“, so ein Firmensprecher.
Um Aufträge macht sich Zwangsarbeitschef Oberländer wenig Sorgen. Vielmehr Angst hat er davor, daß ihm irgendwann zu wenig Gefangene zur Verfügung stehen. Noch mehr Angst hat er allerdings davor, daß die Werkhallen im Knast zu klein werden. Aber auch hier ist Oberländer einfallsreich. So wurde die Gefangenenkantine in der JVA Ravensburg kurzerhand zur Werkhalle umfunktioniert. Die Gefangenen dürfen ihren Fraß jetzt wieder auf der Zelle zu sich nehmen.
Bei Knastneubauten wird der expandierenden Zwangsarbeit deshalb von vorneherein Rechnung getragen. So gibt es in der neugebauten JVA Düsseldorf 5000qm Werkhallen.

Wie geht’s weiter mit der Zwangsarbeit?

Nur Bayern, Baden-Württemberg und NRW sind strikt dagegen. Ansonsten „überlegen“ mittlerweile 10 Bundesländer die Arbeitspflicht für Gefangene abzuschaffen. Natürlich würden wir dies begrüßen. Immerhin würden dadurch die bewußten Zwangsarbeitsverweigerer, wenigstens den „Sozialeinkauf“ in Höhe von etwa 30 Euro erhalten. Bislang erhalten den nämlich nur die Gefangenen, die „unverschuldet ohne Arbeit“ sind. Arbeitsverweigerer erhalten gar nichts. Allerdings ist dieser „Sozialeinkauf“ in Höhe von etwa einem Euro am Tag schlichtweg ein Witz. Ein Euro am Tag für Zusatznahrung, Genußmittel, Körperpflegeartikel, Schreibbedarf etc. ist selbst gemessen an den erbärmlich niedrigen Hartz-IV Sätzen jenseits von Gut und Böse. Passt aber gut in eine Gesellschaft, in der das sogenannte „Abstandsgebot“ durch immer noch mehr Druck nach unten hergestellt wird. Solange also die Alternative heißt: 23 Stunden Zelle und 30 Euro Einkauf oder zwangsarbeiten, kann auch nicht mal ansatzweise von einer „Freiwilligkeit“ gesprochen werden.
Bayern will die Arbeitspflicht jetzt auch für die Sicherungsverwahrten einführen. Natürlich nur, wenn es „therapeutisch geboten“ ist. Wollen wir wetten, dass dies bei mindestens 90% der Arbeitsfähigen der Fall sein wird?
Apropos Arbeitsfähigkeit. Wird ein Gefangener wirklich mal vom Knastarzt krankgeschrieben, so erhält er für diese Zeit natürlich kein Geld. So etwas wie Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gibt es im Knast nicht. An dieser Stelle sei auch noch erwähnt, dass die Firmen, die im Knast zwangsarbeiten lassen, selbstverständlich für die Gefangenen auch keine Sozialversicherungsbeiträge zahlen müssen. Wer 30 Jahre im Knast gearbeitet hat, hat 0 Euro in die Rentenversicherung einbezahlt.

Wie können wir dazu beitragen,

daß sich da was ändert?

Auf die Einsicht der herrschenden Politik zu hoffen ist müßig. Ein Wechsel von schwarz-gelb zu rot-grün und wieder zurück ändert an den Verhältnissen nix. Die Hoffnungen, die manche Gefangene in den 80 und 90-er Jahren in die Grünen gesetzt haben, dürften endgültig verflogen sind. Grade das grün-rote BaWü und das rot-grüne NRW kämpfen gemeinsam mit den Schwarzen aus Bayern am entschiedensten für die Beibehaltung der Arbeitspflicht. Neben den obligatorischen Bayern tritt das rot-grüne NRW jetzt wieder für die nachträgliche Sicherungsverwahrung ein. Also da kann mensch bei klarem Verstand keine Hilfe erwarten.
Interessanter erscheint es mir, die Firmen, die im Knast zwangsarbeiten lassen, mal öffentlich zu machen und unter Druck zu setzen. Das sind ja oftmals keine kleine Klitschen, sondern eher das who ist who der deutschen Wirtschaft. Statt „made in Germany“ müsste ja auf vielen Produkten „made in Zwangsarbeit“ stehen. So eine Kampagne ist aber nur in Kooperation zwischen den Gefangenen drinnen und einer kritischen Bewegung draußen möglich. Im Moment fehlt es aber schon an den Gefangenen, die ihre Zwangsarbeitsbedingung kritisch hinterfragen und öffentlich machen. Dies liegt wohl auch daran, daß viele Gefangene, die ein grundsätzliches Problem mit der Zwangsarbeit haben, gar nicht erst in den Knastbetrieben landen. Die anderen haben möglicherweise Angst vor Repression, Angst davor wieder 23 Stunden auf der Zelle zu sitzen und gar keinen Einkauf mehr zu haben. Klar ist es leicht, von draußen dem Kettenraucher zu sagen, dann hast eben keinen Einkauf mehr. Solange wir draußen so schwach sind, dass wir kaum in der Lage sind, diejenigen zu unterstützen, die aufgrund ihres Engagements unter Druck geraten. Solange haben wir kein Recht irgendwas zu erwarten. Andrerseits wird sich so auch nichts ändern.

                                                                                                             gerhard, akp
für straflos 8
                                                                                                                                            November 2012

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