Sonntag, 18. November 2012

Nachtrag straflos 3, SV eine Schande

Das  Gegenteil einer abolitionistischen Entwicklung:

„Sicherungsverwahrung ist eine Schande“

Diese Aussage von Tucholsky aus dem Jahre 1920 ist heute genauso aktuell wie damals. Sie macht aber auch deutlich, dass die spätere Einführung durch die Nazis nicht vom Himmel gefallen ist.. Tatsächlich begannen eben so um 1920 herum reaktionäre Politiker und Juristen (ich verwende hier bewusst nur die männliche Form) die Einführung einer Sicherungsverwahrung für Rückfalltäter zu fordern. Begonnen hatte diese Diskussion mit der Einführung des sogenannten Täterstrafrechts zu Beginn der Weimarer Republik. Was dürfen wir uns darunter vorstellen? Nun, vorher gab es das sogenannte Tatstrafrecht, d.h. die Tat stand absolut im Mittelpunkt. Die Person des Täters oder der Täterin war eher nebensächlich. Das Ganze funktionierte ähnlich wie ein Bußgeldkatalog im Straßenverkehr. Wer 20 kmh zu schnell fährt, bezahlt eine bestimmte Summe. Unabhängig davon, ob er einen Mercedes oder einen klapprigen Polo fährt. So ähnlich liefen damals die Verfahren ab. Für den Diebstahl einer bestimmten Summe gab es eben soundsoviel Knast oder Arbeitslager. Mehr oder weniger unabhängig von der Person des Täters. Die Einführung des sog. Täterstrafrechts kam ursprünglich aus der liberalen Ecke. Kernthese war, den sozialen Status des Täters oder der Täterin stärker zu berücksichtigen. Vereinfacht gesagt, sollte der Bettler, der aus Hunger stahl, weniger bestraft werden als der wohlhabende Bürger, der dies aus Habgier tat.
So weit, so gut. Allerdings ist gerade die Entwicklung des Täterstrafrechts ein Paradebeispiel, wie gutgemeinte Reformansätze in diesem System sehr schnell ins Gegenteil umkippen. Sehr schnell begann sich nämlich unter den Juristen eine andere Sichtweise durchzusetzen. Der Diebstahl des Bürgers wurde als einmaliger Ausrutscher gewertet und er deshalb milder bestraft. Anders sah es nun beim Bettler aus. Die Richter gingen davon aus, dass dieser immer wieder Hunger haben werde und deshalb die Gefahr groß sei, dass er wieder klauen würde. Der Rückfalltäter (später“ Gewohnheitsverbrecher“) war juristisch geboren worden. Damit begann auch die Diskussion um die Sicherungsverwahrung, die dann einige Jahre später von den Nazis eingeführt wurde. Dieses bildete dann die Grundlage für die Einlieferung in ein Konzentrationslager.

Nach dem Ende des Naziterrors kamen alle Sicherungsverwahrten frei, denn alle anderen Länder, also auch die Siegermächte, kannten das Terrorinstrument SV nicht. Wahrlich eine deutsche Erfindung, auf die die Reaktionäre hierzulande stolz sein können. Wie die deutsche Bevölkerung in den Jahren zwischen 1945 und 1949 ohne den „Schutz“ der Sicherungsverwahrung überhaupt überleben konnte erscheint einem, angesichts der aktuellen Bedrohungshysterie, im Nachhinein als wahres Wunder.
1949 war dann aber wieder Schluß mit lustig. Die neugegründete BRD führte „das bewährte Instrument“ sofort wieder ein. Und zwar zeitlich unbegrenzt, d.h. Sicherungsverwahrte konnten lebenslänglich weggesperrt werden. Betroffen waren überwiegend Kleinkriminelle, die häufig rückfällig geworden waren. Ich erinnere mich noch an Toni. 1986 traf ich ihn im Straubinger Knast. Über 40 Jahre Knast hatte er schon hinter sich, davon 27 Jahre in SV. Sein Delikt: Pfarrhauseinbrüche. Die katholische Kirche hatte es ihm angetan. Statt zu sagen: „Immer noch besser, als die arme Kleinrentnerin zu beklauen“, warfen sie ihm vor, dass es besonders übel sei, die notleidende katholische Kirche zu schädigen. Bayern eben. Menschenverachtend, aber gottesfürchtig.
In den 70er-Jahren wurde dann die Sicherungsverwahrung bei der ersten Verhängung auf 10 Jahre begrenzt. Erst wenn ein Sicherungsverwahrter rückfällig wurde, galt bei der zweiten Verhängung die SV unbegrenzt. Es bedurfte dann einer rot-grünen Regierung, um 1998 diese zeitliche Begrenzung wieder aufzuheben. In den folgenden Jahren durften wir dann einen widerlichen Wettlauf miterleben. Während die einen noch die nachträgliche Sicherungsverwahrung (nicht im Urteil enthalten) einführten, forderten die anderen schon die nachnachträgliche SV (schon Freigelassene ohne neue Tat wieder einsprerren). Auch Jugendliche kamen nun in den „Genuss“ dieser rechtsstaatlichen Errungenschaft. Die Zahl der Sicherungsverwahrten verdoppelte sich in etwa.

Begleitet wurde das Ganze von hysterischen Schauergeschichten in der Regenbogenpresse. Unbedarfte Beobachter (so wie ich) fragten sich, wie denn all die Länder in denen es keine Sicherungsverwahrung gibt, überhaupt überleben können. Und vor allem - wie Deutschland überleben konnte, als die Kriminalitätsrate noch höher war und es trotzdem nur halb  so viele Sicherungsverwahrte gab. Da muß doch Mord und Totschlag geherrrscht haben. Sicherungsverwahrte, die zu höchstens 10 Jahren SV verurteilt waren, wurden nach den 10 Jahren einfach weiter in Haft behalten. So nach dem Motto: Interessiert eh keinen was wir mit den Gefangenen machen oder „die anständigen Bürger“ sind eh für „Schlüssel wegschmeißen“. Dann kam aber dieses berühmte Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichts, das meines Erachtens völlig überbewertet wird. Schließlich lehnte dieses Gericht die SV nicht grundsätzlich ab. Es sagte nur, dass sich die Bundesrepublik doch bitte an ihre eigenen Gesetze halten soll. Was ist das für eine Welt, in der solch eine Banalität schon beinahe als revolutionär gilt.
                                                                                                                        Gerhard, AKP
                                                                                                             in straflos 3, Herbst 2010

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