Alle Jahre wieder. Die Justizministerin verkündet bei den Haushaltsberatungen im Bundestag stolz, daß sich die Justiz weitgehend selbst finanziert. Toll. Deutsche Gerichte lassen sich von denen bezahlen, die sie verurteilen. Anders ausgedrückt. Wenn ich jemand weh tue, muß der mich auch noch dafür bezahlen. Und die meisten tuns ja auch, weil es ihnen als „das kleinere Übel“ erscheint. In Festreden wird gerne von freien Wahlen gesprochen. Wie frei eine Wahl ist, bei der mensch nur zwischen zwei Übeln wählen kann, mag JedeR selbst beurteilen.
Dieses Prinzip betrifft beileibe nicht nur die Strafjustiz, es durchzieht die ganze Gesellschaft. Was ist das für eine Wahl, wenn ich nur die Möglichkeit habe, für einen Hungerlohn zu arbeiten oder mich den Schikanen der ARGE auszuliefern?
Anderes Beispiel:
Ein Arbeitsloser legt bei der ARGE ein ärztliches Attest vor, nachdem er arbeitsunfähig ist. Trotzdem will ihn die ARGE für 4 Wochen in ein sog. Arbeitsbelastungstraining schicken. Er empfindet dies zu Recht als versuchte Körperverletzung. Trotzdem soll er einen „Vertrag“ unterschreiben, in dem er dieser Körperverletzung zustimmt. In diesem Land herrscht ja „Vertragsfreiheit“. Er hat ja die „freie Wahl“. Er kann diesen erpresserischen Vertrag unterschreiben oder nicht. Unterschreibt er nicht, kriegt er zunächst 30% Kürzung. Unterschreibt er wider besseren Wissens und steht diese Maßnahme erwartungsgemäß nicht durch, kriegt er ebenfalls 30% Kürzung. Wie gesagt, dies ist ein freies Land mit freien Wahlen.
Kommen wir aber wieder zur Strafjustiz zurück. Jedes Jahr werden über eine Millionen Menschen zu sog. Geldstrafen verurteilt. Der Begriff Geldstrafe ist irreführend. Tatsächlich handelt es sich um (Ersatz)- Freiheitstrafen. Wenn du zu 60 Tagessätzen à10 Euro verurteilt wirst, so bedeutet dies eben nicht, daß Du jetzt einfach der Justizkasse 600 Euro schuldest, die notfalls mittels Gerichtsvollzieher eingetrieben, wie bei normalen Schulden. Es bedeutet, daß du zu 60 Tagen Knast verurteilt bist und dich nur von diesem Knast freikaufen kannst. Dass eine Ersatzfreiheitstrafe eben wirklich Knast bedeutet, zeigt sich in der Praxis.
In deutschen Knästen sitzen derzeit etwa 8500 Menschen, die ihre „Geldstrafen“ nicht bezahlen konnten oder wollten. Geht mensch davon aus, dass die meisten dieser „Geldstrafen“ so auf 2-3 Monate hinauslaufen, so sind es übers Jahr gerechnet etwa 40000 Menschen, die davon betroffen sind.
Bleibt immer noch über eine Million Menschen jedes Jahr, die sich freikaufen, obwohl sie es häufig gar nicht können. Wie soll einE Hartz IV-EmpfängerIn beispielsweise eine „Geldstrafe“ von 600 Euro bezahlen? Er oder sie müßte ja das ALG II praktisch zweckentfremden, weil im Satz ja kein Euro für „Geldstrafen“ vorgesehen ist. Dass Gerichte, die „Geldstrafen“ gegen Arbeitslose verhängen, diese praktisch zu rechtswidrigem Verhalten auffordern, ist uns ehrlich gesagt wurscht. Schließlich wollen wir die Strafjustiz ohnehin abschaffen.
Unter den ca. 40000 Menschen, die jährlich „Geldstrafen“ absitzen, sind vermutlich wenige, die aus politischen Gründen die Zahlung verweigern. Bekannt geworden sind vor allem Leute aus den Reihen der Gentechnik-GegnerInnen, aber auch Jürgen Hahnel, der für die Entkriminalisierung von Cannabis kämpft. Ansonsten ist innerhalb der linken Szene das politisch offensive Nichtbezahlen von „Geldstrafen“ nicht sehr verbreitet. Wird jemand aus der Szene zu einer „Geldstrafe“ verurteilt, so setzt sich fast automatisch eine Soliarbeit in Gang, bei der es überwiegend darum geht, das Geld aufzutreiben. Die Frage, ob es überhaupt sinnvoll ist, dieser Justiz die Kohle in den Rachen zu werfen, wird häufig nicht mal ansatzweise diskutiert. Wer, wie ich, sagt, dass er dieser Justiz keinen Euro geben wird und die Zeit notfalls lieber absitzt, erntet bestenfalls müdes Lächeln. Für mich gibt es gute Gründe dies so zu machen u.a. den, dass ich die Zeit im Knast nicht als „verlorene Zeit“ betrachte. Andere mögen gute Gründe haben, dies anders zu machen.
Ich beklage nicht, daß sich die allermeisten GenossInnen für das Bezahlen entscheiden. Ich beklage, daß über die Möglichkeit des Nichtbezahlens überhaupt nicht mehr öffentlich nachgedacht wird. Eine Diskussion in dieser Richtung würde ich mir wünschen.
Gerhard, AKP
aus STRAFLOS Nr. 2