Sonntag, 6. Januar 2013

Silvester am Knast Köln-Ossendorf

Wie in den Jahren zuvor waren wir an Silvester 2012 mit Musik, Raketen und Redebeiträgen vor dem Knast Köln-Ossendorf, um uns für Gefangene hörbar zu machen. Sichtkontakt ist wegen der Isolations-Architektur nicht möglich. Und wir wissen nie, ob und wie viele Gefangene uns hören können.

Gekommen waren etwa 250 Teilnehmer/innen aus verschiedenen libertären Gruppierungen. Wie gewohnt machten wir angesichts der Weitläufigkeit des Geländes an geeignet erscheinenden Plätzen Zwischenkundgebungen, um möglichst viele Hafthäuser zu erreichen. In diesem Jahr war es besonders günstig, dass ein erst kürzlich aus Ossendorf Entlassener uns diesbezüglich Hinweise geben konnte. Auch sein Beitrag war für uns draußen besonders bemerkenswert, weil er sich einerseits bei den Teilnehmenden bedankte, andererseits aber auch der Kölner Linken etwas die Leviten las, das Thema Knast relativ beiseite zu schieben und es oft an konkreter Solidarität mangeln zu lassen. Außerdem wurden Grußbotschaften derzeit noch gefangener revolutionärer Gefangener verlesen. Es gab Beiträge ehemaliger Gefangener, die die Gefangenen ermutigen sollten, sich nicht brechen zu lassen und gemeinsam mit Unterstützenden draußen Öffentlichkeit gegen das Knastsystem herzustellen. Dies war auch unser Ansatz als Gruppe Autonomes Knastprojekt. Die Anarchistische Gruppe Köln leistete einen Beitrag, wie Knast in die kapitalistische und staatliche Machtausübung einzuordnen ist als nachdrücklichen Hinweis darauf, dass wir dieses Problemfeld, die Spitze des Eisbergs, nicht beiseite schieben oder übersehen sollten.
Es mangelte diesmal etwas an der Mehrsprachigkeit unserer standardmäßigen Grüße an die Gefangenen, in dem wir das Ziel einer Gesellschaft ohne Herrschaft und Knäste angeben. Doch die Musik war mehrsprachig und hoffentlich laut genug, um drinnen gehört zu werden.

Silvester am Knast

Rede eines kürzlich Entlassenen 

 

Liebe Freunde,
einen großen Teil meines Lebens habe ich hinter diesen Mauern verbracht und nun bin ich sehr  froh, dass ich hier und heute endlich mal die Möglichkeit habe, mich bei Euch allen zu bedanken. Jahr für Jahr nehmt Ihr Euch die Zeit hierher zu kommen, um mit uns Inhaftierten ins neue Jahr zu gehen. Dabei könnt Ihr uns weder sehen noch hören und dennoch kommt Ihr und rennt dabei - im wahrsten Sinne des Wortes - jedes Jahr auf`s neue  gegen Mauern. Eine derartige Solidaritätsbekundung ist alles andere als normal, selbstverständlich oder alltäglich. Daher möchte ich mich im  Namen aller hier in Ossendorf einsitzenden und überall anders inhaftierten Mitmenschen bei  Euch recht herzlich  bedanken.
Danke für Euer Kommen,
Danke für Eure Solidarität,
und Danke, dass es Euch gibt!

Für Euch mag diese Kundgebung hier eine solidarische Geste oder ein menschliches  Symbol sein, aber den Jungs da hinter den Mauern bedeutet es viel-viel mehr. Es ist nämlich ein Stück Freiheit, wenn man weiß und spürt, dass vor den Mauern Menschen stehen, die Inhaftierte nicht verachten, verbannen oder vergessen und obendrein dazu bereit sind, mit uns Inhaftierten ins neue Jahr zu gehen. Das gibt Mut, Kraft, Hoffnung und läßt einem für Momente den Haftalltag vergessen. Dieses Stück Freiheit, liebe Freunde, bereitet Ihr hier und heute den Jungs hinter den Mauern und Ihr könnt mir glauben, dass sie es in vollen Zügen genießen werden.
Dafür vielen-vielen Dank!

Nun könnte ich Euch stundenlang und seitenweise aufzählen, wie unwürdig Inhaftierte behandelt werden, wie menschenverachtet teilweise mit ihnen umgegangen wird und wie rechtwidrig die Institution Knast agiert. Aber diese Erzählungen würden nichts an der Situation ändern. Solange das Justizsytem die organisierte Kriminalität verkörpert und unkontrolliert auslebt, solange das Staatsschutzschild Knast excellent vermarktet wird, bringt es nichts deren Vergehen aufzuzählen, denn daran würden die sich nur ergötzen.

Es ist nicht einfach, das vorhandene  System hinter den Mauern schadlos zu überstehen, da es viel Mut, Kraft und Ausdauer bedarf, um jeden Tag aufs neue mit sich selbst und gegen das System zu kämpfen. Dementsprechend schaffen es nicht alle, dieser staatlich legitimierten Folter zu trotzen und sie zerbrechen an diesem System, da sie dem ständigen physichen sowie psychischen Druck nicht gewachsen sind und  sich den Lebensmut rauben lassen.
Daher lasst uns nicht über das sprechen, was Sie uns Inhaftierten antun, sondern über das, was wir Ihnen antun können.

Leider spaltet die Thematik Knast nicht nur die heutige Gesellschaft, sondern auch die linke Szene. Was mich persönlich sehr traurig stimmt, da sich eine Entwicklung in Richtung Anpassung anbahnt. Was die Thematik Knast betrifft, so gibt es selbsverständlich eine Fülle an Diskussionsbedarf, jedoch sollten diese Diskussionen nicht das Wesentliche in den Hintergrund drängen. Natürlich besteht Redebedarf, ob eine Gesellschaft ohne Knäste mit allen damit verbundenen Konsequenzen vorstellbar ist oder nicht. Und  auch ich stelle mir natürlich immer wieder die Frage, ob ich tatsächlich gegen Knäste sein kann und im Umkehrschluss damit auch die Freilasung von den staatlich subventionierten rechten Terrorzellen mit meinem Gewissen vereinbaren könnte. Das sind natürlich Diskussionen, die geführt werden sollten und auch geführt werden müssen, die aber nicht dazu führen dürfen, dass eine linke Szene sich selbst ihre Stärke raubt. Bei all dem linken Diskussionseifer wird nämlich vergessen, dass es in erster Linie um Mitmenschen geht, für deren Belange es sich einzusetzen gilt. So geht es hier und heute nicht darum zu diskutieren oder sich zu positionieren, es geht nicht um  ob.., hätte..., wenn und aber, sondern einzig allein darum, Solidarität zu zeigen mit einer von der heuchlerischen Gesellschaft separierten Randgruppe.
Ich selbst bin heute nicht hier, weil ich gegen Knäste bin oder weil ich Freilassungen einfordere.... Ich bin hier, weil ich den Menschen hinter den Mauern alles Gute Wünsche will, Ihnen meine menschliche Solidarität zukommen lassen möchte und weil ich weiß, dass kein Mensch dieser Welt es verdient hat, unter solchen Bedingungen zu leben.

Daher würde ich mir wünschen, dass insbesondere die sonst so aktiven  kölner Linken, die leider wie die Gesellschaft den Ossendorf Knast vergessen haben, dazu beitragen, dass eine Brücke nach außen gebaut wird, um Transparenz, Öffentlichkeit und Leben hinter diese Mauern zu bringen.
Dies umso mehr wenn man bedenkt, dass mehr als 50 Prozent der heute einsitzenden Mitmenschen hinter diesen Mauern entweder Migranten sind oder einen Migrationshintergrund besitzen und nur wegen Ihrer Nationalität überhaupt in Haft sitzen, so dass es eine Art von staatlichem Rassismus darstellt, den es mit allen Mitteln zu bekämpfen gilt. Würde man alle unnötig inhaftierten Mitmenschen freilassen, die wegen Ordnungswidrigkeiten, Schwarzfahrens, Ersatzfreiheitstrafen oder Suchtproblematiken eingesperrt sind, so wäre die JVA Ossendorf - wie nahezu sämtliche Haftanstalten in Deutschland - ziemlich  leergefegt!
Gegen ein System, dass staatlich subventionierte rechte Terrorzellen züchtet und unbehelligt morden läßt, das den Tierschutz höher ansiedelt als die Menschenrechte und das Geld wertvoller als Menschenleben, sollte es in einer linken Szene endlich  möglich sein, sich solidarisch zu verbünden und auch das Thema Knast in den Alltagskampf nachhaltig zu integrieren!!

In diesem Sinne wünsche ich Euch im Namen aller Inhaftierten  einen guten Rutsch ins neue Jahr, viel Glück, Gesundheit und alles-alles Gute.

Danke dass Ihr gekommen seid !!