Dienstag, 12. Dezember 2006

Föderalismusreform: Katze aus dem Sack

Strafvollzug in Niedersachsen - auf dem Weg ins Feindstrafrecht?! Am 1.1.1977 trat in (West-)Deutschland das Strafvollzugsgesetz in Kraft. Erstmals wurde die Ausgestaltung des Strafvollzuges gesetzlich geregelt. Bislang war der Bundestag für die Regelung des Strafvollzuges zuständig (Artikel 74 Abs. 1 Nr. 1 Grundgesetz), jedoch soll im Rahmen der Föderalismusreform künftig jedes der 16 Bundesländer sein eigenes Länderstrafvollzuggesetz (L-StrVollzG) erlassen dürfen. Vor kurzem stellte die niedersächsische Justizministerin Heister-Neumann ihre "Eckpunkte für ein Niedersächsisches Strafvollzugsgesetz" vor. Zu 11 zentralen Punkten äußerte sich die Ministerin, wobei zu beobachten ist, dass partiell Feindstrafrechtselemente nunmehr in Gesetzesform gegossen werden sollen. (vgl. hierzu auch "Gefängnisse - Orte für Feindstrafrecht?" in: http://www.de.indymedia.org/2005/09/126587.shtml) Hierzu später mehr. Zentrales Element des L-StrVollzG in Niedersachsen soll eine deutliche Reduzierung der Kosten sein. So lautet einer der Eckpunkte: "Die Gefangenen sollen stärker an den Kosten des Strafvollzuges beteiligt werden". Für Arztbesuche, Medikamente soll künftig genauso (zu-)gezahlt werden müssen, wie für Lockerungen des Vollzuges. Des Weiteren soll der Prozess der (Teil-)Privatisierung von Gefängnissen forciert und gesetzlich abgesichert werden. Hierzu zählt auch die Absicht der Justizministerin, den Besitz der Gefangenen zu reduzieren, bzw. künftig vom Ermessen der Anstaltsleitung abhängig zu machen, wobei insbesondere daran gedacht wird, Privatfirmen die Vermietung von Elektroartikeln an Gefangene zu übertragen. Darf heute ein Insasse noch einen Fernseher (o.ä.) kaufen, soll er künftig unter Umständen nur noch ein Gerät mieten dürfen - für Firmen eine Lizenz zum Gelddrucken. Kommen wir aber nun zu den angesprochenen Elementen des Feindstrafrechts: So soll künftig möglichst jeder Gefangene, der keine Vollzugslockerungen erhält, automatisch bei Transporten (z.b. in eine andere JVA, zu einem Facharzt, o.ä.) gefesselt werden dürfen. Heute lässt dies das Gesetz nur bei "erhöhter Fluchtgefahr" zu. Somit wird sich also jeder und jede Gefangene (in Niedersachsen) in Zukunft in Ketten gelegt wiederfinden, was sogar den Rahmen dessen sprengt, was sich Feindstrafrechts-Befürworter vorstellen: Diese argumentieren, dass wer nicht mehr die Verlässlichkeit rationalen Handels als Bürger gewährleiste, aus der (Bürger-)Gesellschaft ausgeschlossen und als Feind behandelt werden müsse. Herrschte bislang so etwas wie eine stillschweigende Übereinkunft zwischen der Mehrheit der Gefangenen und dem Staat, Möglichkeiten zur Flucht nicht zu nutzen, dafür im Gegenzug bspw. gerade nicht gefesselt zu werden bei Verlassen der Anstalt, kündigt die Ministerin dieses "Agreement" auf. Dies wird noch deutlicher am Begriff des "Chancenvollzuges". Im schönsten Beraterdeutsch wird im Eckpunktepapier von Heister-Neumann von der "konsequenten Einforderung der Eigenverantwortung" der Insassen gesprochen. Der Chancenvollzug solle "zentraler Gestaltungsgrundsatz" des L-StrVollzG in Niedersachsen werden. Wer sich jedoch diesen "Chancen" verweigere (also nicht die oben erwähnte "Verlässlichkeit rationalen Handelns" gewährleiste) soll auf eine - Zitat - "Grundversorgung" verwiesen werden. Und um rechtliche Eingabemöglichkeiten der Gefangenen weitestgehend zu reduzieren soll das L-StrVollzG möglichst vereinfacht und "entbürokratisiert" daher kommen. (Auch im Feindstrafrechtsdiskurs wird betont, dass den "Feinden" die Rechtswege allenfalls beschränkt offen stehen sollen: Exemplarisch zu beobachten an der Haltung der US-Regierung zu den Lagerinsassen auf Guantanamo Bay.) Selbst die SPD im niedersächsischen Landtag kam zu dem Ergebnis, dass es sich bei den Plänen der Ministerin um "gefährlichen Populismus und überflüssige Augenwischerei" handele (Nordwest Zeitung, 30. Mai 2006). Wir können also beobachten, wie nunmehr das 30 Jahre alte Bundesgesetz durch 16 Ländergesetze ersetzt werden soll und dabei erste Elemente des Feindstrafrechts in das neue Gesetz eingebracht werden sollen. Es bleibt abzuwarten, ob nun auch seitens der Gefangenen das oben erwähnte "stillschweigende Übereinkommen" gekündigt werden wird und sie sich zur Wehr setzen ....
Thomas Meyer-Falk, c/o JVA - Z. 3117, Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal homepage: http://www.freedom-for-thomas.de
UNBEQUEME NACHRICHTEN Nr.5

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