Dienstag, 12. Dezember 2006

10 Jahre Knast - oder in der Höhle

STELLE DIR DIE MENSCHEN VOR IN EINEM UNTERIRDISCHEN, HÖHLENARTIGEN RAUM, DER GEGEN DAS LICHT ZU, EINEN WEITEN AUSGANG HAT ÜBER DIE GANZE HÖHLENBREITE; IN DIESER HÖHLE LEBEN SIE VON KINDHEIT, GEFESSELT AN SCHENKELN UND NACKEN, SO DASS SIE DORT BLEIBEN MÜSSEN ... Rückblick - Oktober 1996, circa 5.30 Uhr am Morgen, der Tag erwacht langsam, es ist herbstlich kühl ... Zwei, vielleicht drei Dutzend vermummte Gestalten rennen nahezu lautlos in eine Sparkasse, einer trägt eine Videokamera, als einer der Männer schreit: "Auf die Knie, auf die Knie ..." - und ehe ich bis drei zählen kann, liege ich auf dem Boden, Hände und Füße verdreht, gefesselt, ein Arzt beugt sich über mich: "Geht es Ihnen gut? Fehlt Ihnen etwas?" fragt er und ich denke noch, dass er offenbar Humor haben muss, aber er tut wohl nur seinen Job. So endete eine 14-stündige Geiselnahme in einer Bank, die statt eigentlich erwünschter Geldmittel für politische Projekte zu einer langjährigen Haftstrafe führte. ... SO DASS SIE DORT BLEIBEN MÜSSEN UND NUR GEGEN VORWÄRTS SCHAUEN, DEN KOPF ABER WEGEN DER FESSELN NICHT HERUMDREHEN KÖNNEN; AUS WEITER FERNE LEUCHTET VON OBEN HER HINTER IHREM RÜCKEN DAS LICHT EINES FEUERS ... Nach 10 Jahren Haft, die ich nahezu vollständig in Isolation verbracht habe, bzw. verbringe, möchte ich an dieser Stelle eine Zwischenbilanz ziehen: Die Strafe Sinn und Zweck von Strafe in der bürgerlichen Gesellschaft ist, folgt man einem gängigen Kommentar des Strafgesetzbuches, der Begehung von Straftaten entgegen zu wirken, sei es durch das bestrafte Individuum, sei es durch noch-nicht-straffällig gewordene Personen. Darüber hinaus soll Strafe Vergeltung für begangenes Unrecht darstellen. Das Strafvollzugsgesetz wiederum sieht die Aufgaben des Strafvollzuges neben dem Schutz der Allgemeinheit in der Resozialisierung, d.h. der Gefangene soll fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen. Gerichte in Heilbronn und Karlsruhe verurteilten mich in mehreren Prozessen zu 16 Jahren 9 Monaten und drei Wochen Freiheitsstrafe - verbüßt werden diese 2013 sein. Da ich eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellen würde, wurde Sicherungsverwahrung angeordnet; diese wird ab 2013 vollstreckt, geht es nach dem Willen der Justiz. Sicherungsverwahrung (SV) ist ebenfalls in einem Gefängnis zu vollstrecken und sie kann lebenslang dauern, so lange bis Gutachter und Gericht zur Überzeugung gelangen, der Verwahrte (hier ausschließlich die männliche Schreibweise zu verwenden, spiegelt die Realität wieder. Zurzeit gibt es keine Frauen in Sicherungsverwahrung) stelle keine Gefahr mehr da. Für den Banküberfall wurden mir 11 Jahre 6 Monate, sowie die SV zugemessen, die weiteren Jahre, weil sich diverse Politiker von SPD, CDU, CSU, sowie Justizmitarbeiter durch Briefe von mir in ihrer Ehre verletzt, bzw. bedroht gefühlt haben. Kann man verstehen, dass ich nicht gewillt bin, diese fast 17 Jahre mit anschließender potentiell lebenslanger SV, widerspruchslos abzusitzen? Strafe in bürgerlicher Gesellschaft ist Instrument der Disziplinierung - und sie ist Teil der Klassenjustiz! Selbstverständlich ist mir an einem Leben in sozialer Verantwortung gelegen, wie es im Strafvollzugsgesetz heißt, nur unterscheidet sich meine Gesellschaftsvorstellung grundlegend von der herrschenden kapitalistischen Gesellschaft. ... SIE SEHEN NICHTS AUSSER DEN SCHATTEN, DIE VON DEM FEUER AUF DIE GEGENÜBERLIEGENDE MAUER GEWORFEN WERDEN, VERSTEHST DU? NATÜRLICH, WENN SIE GEZWUNGEN SIND, IHRE KÖPFE UNBEWEGT ZU HALTEN IHR LEBEN LANG. Der Knast Gefangene, von denen eine Gefahr für Sicherheit und Ordnung der Haftanstalt ausgeht, dürfen laut Gesetz in Einzelhaft gehalten werden, d.h. sie verbringen die 24 Stunden des Tages mit sich alleine. Von 1996 - 1998 saß ich in Stammheim in Isolation und seitdem in Bruchsal (mit zwei Intermezzi 1998 in Straubing und 2002 erneut in Stammheim). Seit Mai 2006 kann ich während der einen Stunde Hofgang im Gefängnishof mit 6-7 anderen "gefährlichen" Gefangenen zusammentreffen. Viel lesen und schreiben - Tag um Tag, Jahr um Jahr. So verbringe ich die Zeit... WENN SIE SICH UNTEREINANDER UNTERHALTEN KÖNNTEN, DA WÜRDEN SIE WOHL GLAUBEN, DIE WAHREN DINGE ZU BENENNEN, WENN SIE VON DEN SCHATTEN SPRECHEN, DIE SIE SEHEN. ... immer noch Knast Da ist B., er bekommt regelmäßig antipsychotische Medikamente; da ist T., mit seinen 1,82 m auf unter 60 Kg abgemagert oder OE., der sich kaum von seinem Fernseher lösen kann für die eine Stunde Hof, um dann Zigarettenkippen vom Boden zu sammeln, damit er etwas zum rauchen hat. Wir sind schon so ein Häuflein "gefährlicher" Gefangener. (zu T. vgl. auch http://www.de.indymedia.org/2006/08/156000.shtml); Zu den mal mehr, mal weniger subtilen Erniedrigungen, Schikanen, besonderen Vorkommnissen an dieser Stelle nichts, wer mag, findet auf meiner homepage zahlreiche Beispiele aus dem Gefängnisalltag (http://www.freedom-for-thomas.de) . Gefangene, die gewillt sind, für ihre Freiheit zu kämpfen, gelten rasch als gefährlich für das Knastsystem, denn dieses lebt von dem stillschweigenden Agreement zwischen InsassInnen und Personal, wonach erstere den Umstand der Inhaftierung akzeptieren. Und wer sich nicht an dieses Agreement hält und nicht bereit ist, immer nur auf die Wand zu starren, dort die Schatten der Freiheit als Realitätsersatz zu begaffen, der gerät fast unweigerlich in Einzelhaft; schon um zu verhindern, dass solche Gefangene ihre Mitgefangenen - angeblich - "aufhetzen". ÜBERLEGE NUN LÖSUNG UND HEILUNG AUS KETTEN UND UNVERSTAND, WIE IMMER DAS VOR SICH GEHEN MAG - WENN MAN IHN ZWÄNGE, INS LICHT SELBST ZU BLICKEN, DANN WÜRDEN IHN SEINE AUGEN SCHMERZEN, UND FLUCHTARTIG WÜRDE ER SICH DEM ZUWENDEN, WAS ER ANZUBLICKEN VERMAG. Die Freiheitsstrafe Leider gibt es viel zu viel Gefangene, die nach langen Jahren der Haft nicht mehr in der Lage sind, sich in Freiheit zu Recht zu finden, sie scheitern an einfachsten Dingen des Alltags. In Erinnerung ist mir die Schilderung von Z., wir saßen 2002 in Stammheim in benachbarten Zellen in Isolationshaft, konnten uns nur von Fenster zu Fenster verständigen. Sein halbes Leben hinter Mauern (Heim, Jugendhaft, Erwachsenenknast) wurde er 2002 nach wenigen Tagen Freiheit - er hatte eine langjährige Strafe bis zum letzten Tag verbüßt - wieder in Haft genommen. Er erzählte, wie er durch die Stadt spazierte, und ein Pärchen ihn bat, sie zu fotografieren. Die Digitalkamera, die sie ihm in die Hand drückten, überforderte ihn völlig - er wusste nicht mal so recht, was das für ein Gerät sein sollte. Scheinbar nur eine Petitesse und mit Sicherheit weder Erklärung, noch Entschuldigungsversuch für seinen raschen Rückfall - jedoch ein Mosaikstein. Der Preis, sich von den Ketten noch während der Haft selbst zu befreien, kann im Einzelfall hoch sein. Aber die weltweiten Gefangenenkämpfe, beispielsweise in Spanien oder auch in Nord-/Südamerika sind Ausdruck für die nicht auszulöschende Sehnsucht nach Freiheit! Mir selbst soll die Bewegungsfreiheit auf unabsehbare Zeit vorenthalten werden; dies habe ich nie akzeptiert und dies werde ich niemals akzeptieren. Knapp zehn Jahre Isolationshaft vermochten kein Jota meiner Überzeugungen zu zerstören; wobei die Haft nicht so das Wesentliche ist, so lange ich die Solidarität von draussen erleben darf. Ärgerlich sind jedoch Anwürfe von "draussen", die ich im Verlauf der Jahre gelegentlich lesen musste, wonach ich hier den Märtyrer spielen würde und doch Sinnvollerweise mit der Justiz kooperieren sollte, z.b. um Hafterleichterungen zu erhalten. In solchen Momenten benötige ich Geduld. Wer sich nun fragen sollte, was es mit den literarischen Einschüben auf sich hat: Dies sind Zitate aus dem Höhlengleichnis von Platon ("der Staat", Ziffern 514 a folgende). In ihrer Symbolsprache lassen sie sich auch auf uns Gefangene beziehen. Freiheit wird einem nicht gegeben - Freiheit muss man sich nehmen!
Thomas Meyer-Falk, c/o JVA - Z. 3117, Schönbornstr. 32, D-76646 Bruchsal, Germany homepage: http://www.freedom-for-thomas.de
UNBEQUEME NACHRICHTEN Nr.5

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