Abolitionistische Streitschrift
Nr.1, November 2009
Zum Begriff Abolitionismus: Abschaffungs-Bewegung
Heißt eigentlich also nur: Hau weg den Scheiss! Gab es gegen die Sklaverei in den USA, gegen die staatliche Kontrolle der Prostitution, gibt es gegen die Todesstrafe, gegen Gefängnisse und Strafjustiz allgemein. Letzteres ist hier gemeint. War besonders verbreitet in den skandinavischen Ländernin den 70er und 80er Jahren. Staatliche Reaktionen darauf waren einige Lockerungen, Reformen (angebliche „Resozialisierung“). In den letzten 20 Jahren aber wieder viel Rückschritt in Richtung Straflogik. Doch es gibt weiterhin Vernetzungen der Bewegungen gegen Gefängnisse und Strafjustiz, alle 2 Jahre einen Weltkongress (ICOPA) auf wechselnden Kontinenten zwecks Theorie- und Erfahrungsaustausch. (Auch wir meinen, in reaktionären Zeiten sei es besonders wichtig, kritisches Denken & Handeln weiter zu entwickeln, Alternativen vorstellbar zu erhalten. Deshalb diese Streitschrift.)
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Wir wollen den Scheiss nicht
Bilfinger-Berger baut die „JVA.KÖTTER“
Was macht nun Knäste
für Privatkapitalisten so attraktiv?
Die Erfahrungen aus den USA zeigen, daß es vor allem der Bereich der Zwangsarbeit ist. In der JVA Düsseldorf stehen der Firma Kötter zukünftig 850 zur Zwangsarbeit verpflichtete Gefangene zur Verfügung. Diese werden nicht nur minimal „entlohnt“. Sie haben auch kein Streikrecht, können sich nicht mal gewerkschaftlich organisieren. Krankmeldungen sind nur über den (ebenfalls von KÖTTER bezahlten) Anstaltsarzt möglich. Auch in den staatlichen Knästen war das Bestreben möglichst viel Profit aus der Arbeit der Gefangenen zu schlagen. Trotzdem gab es auch (wenn auch viel zu wenig) Möglichkeiten zur schulischen und beruflichen Aus- oder Weiterbildung. Solche Maßnahmen kosten natürlich Geld. Für einen privaten Betreiber wäre dies einfach eine Gewinnschmälerung. Welcher Privatkapitalist wir wohl freiwillig kaum auf Gewinn verzichten. Schon garnicht die Firma KÖTTER die schon draußen durch miese Bezahlung aufgefallen ist.
Weitere Fragezeichen bestehen im Bereich der medizinischen Versorgung. Wie groß wird denn die Bereitschaft des KÖTTER-Anstaltarztes sein, den Gefangenen teure Medikamente oder Behandlungen zu verschreiben, wenn er damit seinen Arbeitgeber schädigt? Schon in den staatlichen Knästen war die medizinische Versorgung der Gefangenen bestenfalls bescheiden (siehe auch Bericht über den Prozess gegen den Knastarzt in Nürnberg). Dass sich diese Situation im Privatknast verbessern würde, halten wir für mehr als unwahrscheinlich.
Es wäre illusorisch zu glauben, daß wir angesichts der Kräfteverhältnisse diesen Knastneubau in Ratingen noch verhindern könnten. Aber wir können unseren Widerwillen öffentlich sichtbar machen und diesen furchtbaren scheinbaren gesellschaftlichen Konsens, dass Knast kein Thema sei, durchbrechen
Lasst uns gemeinsam den Widerstand
gegen die JVA-KÖTTER organisieren!
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Belgien:
Gefangene von Polizisten schwer mißhandelt
Als Ende September die Schließer im Brüsseler Knast Forest streikten, übernahm die Polizei das Kommando in dem Knast. Schon öfter hatten die Schließer in Belgien gegen die Überbelegung und die miesen Bedingungen in belgischen Knästen gestreikt. Was an diesem Tag geschah, schildert der Vorsitzende der Anstaltskommission wie folgt: „An diesem Tag wurde das Gefängnis von Forest von Polizisten des Bereichs Brüssel-Süd besetzt, die buchstäblich die Macht in der Einrichtung übernommen haben, wo sie den Schrecken haben herrschen lassen“.
Tatsächlich wurde ein Gefangener so schwer zusammengeschlagen, daß der Notarzt kommen mußte. Ein anderer Gefangener wurde mit dem Knüppel auf Rücken und Hoden geschlagen. Ein ehemaliger Kollege, der nun selber im Knast saß, wurde von den Polizisten die ganze Nacht so sehr drangsaliert, daß er sich das Leben nehmen wollte.
Offensichtlich sind diese Aufsichtskommissionen in Belgien nicht ganz so anstaltskonform wie die meisten Anstaltsbeiräte hierzulande. Sonst wäre dieser Vorfall vermutlich nie an die Öffentlichkeit gekommen.
Vergleiche
Rückblick: Als es 1990 eine Welle von Dachbesetzungen gab, wurden die beteiligten Gefangenen z.B. in der JVA Straubing schwer mißhandelt. Nach der Räumung des Knastdaches, wurden sie mit gefesselten Händen durch die Dachluken geworfen, wodurch es zu den ersten Knochenbrüchen kam. Anschließend war Spießrutenlaufen auf dem Speicher des Knasts angesagt. Sie wurden durch ein Spalier von Bereitschaftsbullen getrieben, die in wilder Wut auf die Gefangenen einschlugen. Manche Gefangene waren noch Wochen danach „nicht verzeigbar“. - Nichts davon drang an die Öffentlichkeit. Was einerseits für die „Qualität“ des dortigen Anstaltsbeirats spricht. Die besonders rigide Zensur in Bayern sorgt natürlich ebenfalls dafür, daß möglichst nichts nach draußen dringt.
Aktuell: Ohne den engagierten Notarzt, wäre wohl auch der Fall in Nürnberg (siehe unten)unter der Decke des Schweigens verschwunden.
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So werden die Knäste gefüllt
Billiger und sinnvoller wäre es,
nicht einfach jeden Eierdieb einzusperren.
Ebenfalls:
Nulltarif für öffentlichen Nahverkehr!
Zumindest für arme Schlucker.
Entkriminalisierung spezifischer Genussmittel (Drogen)!
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Das große Mißverständnis
Wenn wir von einer Gesellschaft ohne Knäste sprechen, meinen viele unserer GesprächspartnerInnen DIESE Gesellschaft ohne Knäste und halten dies für eine Utopie. Sie haben recht. Diese Gesellschaft ist so sehr auf Konkurrenz, Gewalt und Macht aufgebaut, daß sie ohne Knäste oder andere Formen von Strafe nicht existieren kann. Aber ist es nicht naiv zu glauben, daß dieses Gesellschaftmodell der Weisheit letzter Schluß ist? Ist es wirklich total unrealistisch zu glauben, daß sich Gesellschaften auch mal anders organisieren könnten?
Von Klein an sind wir in dieser Gesellschaft mit Gewalt und Strafe konfrontiert. Vieles davon ist durch die krasse öknomische Ungerechtigkeit in dieser Gesellschaft bedingt. Wenn das Kind hungrig in den Kindergarten geht, weil die Eltern (oftmals auch nur die Mutter)zum unteren Drittel der Gesellschaft gehören, so ist dies natürlich Gewalt. Und das Kind empfindet es natürlich als Strafe, wenn ihm vieles vorenthalten wird, was für Kinder reicher Eltern selbstverständlich ist. Diese Gewalt setzt sich dann nahtlos in der Schule fort (Über das Schulsystem ließen sich mehr als nur ein Beitrag schreiben). Wer dann nach der Schule die „Alternative“ hat, prekärer Billiglöhner oder Hartz 4-Empfänger zu werden, empfindet dies natürlich als Gewalt. Auch Strafen finden hierzulande meist auf ökonomischer Ebene statt. Bei nicht normgerechten Verhalten oder gar Aufbegehren spannt sich eine weite Kette vom Taschengeldentzug, über die Leistungsverweigerung durch die ARGE bis hin zur Geldstrafe. Selbst im Knast finden die meisten Hausstrafen auf der öknomischen Ebene statt: Einkaufssperre oder Entzug des TV.Geräts sind nur Beispiele dafür.
Eine ökonomisch extrem ungerechte Gesellschaft läßt sich eben nur mit Gewalt und durchsetzen.
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Gewalt erzeugt Gegengewalt
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Wer durchbricht die Gewaltspirale?
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Es existiert aber auch unbestreitbar direkte körperliche Gewalt. Diese direkte Gewalt gibt es auf individueller und auf staatlicher Ebene. Beide mit steigender Tendenz. Beide haben miteinander zu tun und schaukeln sich gegenseitig hoch. Anders ausgedrückt: Je gewalttätiger ein Staat ist, desto gewalttätiger wird die Bevölkerung. Dies zeigt sich exemplarisch an der Beziehung Krieg und Knast. Staaten welche Krieg führen verzeichnen einen Anstieg der Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft. Nach einer neueren Untersuchung sind über 10% aller Gefangenen in Großbritannien ehemalige Soldaten. In den USA gab es ähnliche Erfahrungen mit Vietnam-Veteranen. Wer von Staats wegen töten darf, verliert eben eine natürliche Hemmschwelle. Ähnliches gilt auch für die Todesstrafe. Wer seiner Bevölkerung sagt, daß Töten unter bestimmten Umständen erlaubt und erwünscht ist, ja, was sendet der für ein Signal aus?
Aber auch individuelle Gewalt schaukelt sich manchmal hoch, ja sie „vererbt“ sich teilweise. Unbestritten sind viele gewalttätige Menschen als Kinder selbst Opfer von Gewalt gewesen. Der 5-jährige, der mißhandelt wird, wird von allen bedauert, die BLÖD-Zeitung voran. Zehn Jahre später schlägt er selbst zu und ist plötzlich „die Bestie“. Um es mit der BLÖD-Zeitung auszudrücken. Individuelle Gewalt ist aber oftmals nicht nur Reaktion auf selbst erlebte körperliche Gewalt, sondern häufig auch Reaktion auf strukturelle soziale Gewalt.
Staatliche Gewaltausübung dient aber nicht nur der Aufrechterhaltung der ungerechten gesellschaftlichen Verhältnisse. Sie befriedigt auch die Gewaltphantasien derer,die aus irgendwelchen Gründen davor zurückschrecken, selbst individuelle Gewalt auszuüben.
Wenn wir unser Ziel einer „Gesellschaft ohne Knäste“ formulieren hören wir oft die Frage, was uns das hier und heute nützt? Wenn wir sagen, daß dies ein langfristiges Ziel ist, daß sich unter den derzeit herrschenden gewalttätigen Gesellschaftsbedingungen nicht unmittelbar verwirklichen läßt, so bedeutet dies nicht, daß wir nun tatenlos warten, bis die entsprechenden gesellschaftlichen Bedingungen verwirklicht sind. Nein, kleine Schritte sind jetzt schon erforderlich. Grade weil uns das große Ziel die Richtung vorgibt, laufen wir nicht Gefahr reformistisch zu werden. Reformismus bedeutet, das bestehende Unrechtssystem zu verbessern. Etwas, das grundsätzlich falsch ist, kann aus unserer Sicht aber nicht verbessert werden. Wir können nur versuchen, das System Schritt für Schritt zurückzudrängen.
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Recht auf Rausch
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Todesursache: Knast
Das Urteil ist gar nicht das, was die meiste Aufmerksamkeit verdient. Justiz kann, wie immer, fast nur persönliches Versagen be- und verurteilen. Der Fehler liegt aber im System. Tausende Gefangene können ein Lied singen von der mangelhaften medizinischen Versorgung, im Notfall und im Alltag. Bei zahlreichen Todesfällen während und nach der Haft kommt aber eine (Mit-)Verantwortung der Knastmedizin (z.B. verspätete Diagnose) gar nicht ins Blickfeld. Erst recht, wenn es nicht um Leben oder Tod, sondern "nur" um vermeidbare Schmerzen geht. Wen interessiert das außer die Betroffenen?
Der Kern des Problems ist: Gefangene können keinen Arzt ihres Vertrauens wählen. Der/die zuständige Mediziner/in ist bei der Gefängnisverwaltung angestellt, genießt deren Vertauen. Er/sie ist Teil des Strafsystems, muß z.B. beurteilen, ob Gefangene aus medizinischer Sicht "arrestfähig" sind, also eine Sonderstrafe durchstehen können. Da Gefängnisärzte auch "draußen" kein besonders Ansehen genießen, landen in dieser Position meist nicht die besonders Fähigen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen ist es wohl auch nicht soziales Engagement, das medizinisches Personal an die doppelt und dreifach verriegelten Orte verschlägt.
Dass die Sanitäter im vorliegenden Fall diskurierten, ob sie eine Notarzt von außerhalb des Justisapparates rufen "dürfen", hat mit dieser Grundstruktur zu tun. Not gab es ja offensichtlich. Aber halt diese leidige Zuständigkeitsfrage. Ab wann ist die Not des Gefangenen groß genug, diese Barriere zu überwinden?
Medizinische (Nicht-)Versorgung unter solchen Bedingungen ist unwürdig, schmerzbringend, teilweise lebensgefährlich bzw. tatsächlich Tod bringend.
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Impressum: akp-koeln
Konto: zosamme eV,
Kto: 535348006,
BLZ: 37160087, Kölner Bank,
Verwendungszweck: straflos
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