Vorankündigende Fragen
für einen Workshop bei den Berliner Anti-Knasttagen
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Brauchen wir, die wir für die Abschaffung des Staates, der Repression, Strafjustiz und der Gefängnisse sind, überhaupt Gefangene? Nein! Wenn es sie aber noch gibt, brauchen wir
politisch bewußte, widerständige, kämpferische und
kämpfende Gefangene? Brauchen wir
solidarische, mit Bewegungen draußen und mit Mitgefangenen kooperationswillige Gefangene?
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Brauchen wir
„politische Gefangene“ ??? Oh je, was sind das denn überhaupt für welche? Sind das die
politisch Bewußten, egal wofür sie einsitzen? Sind das im Rahmen
politischer Aktionen Eingefahrene? Die, die ihre
Aktion politisch begründen? Sind das also
Anarchist/inn/en, Linksradikale und Nazis gleichermaßen? Sind das
Genoss/inn/en im Knast? Solche, die aus den Bewegungen kommen, uns
vor der Inhaftierung bekannt waren? Oder auch solche, die
unangepasste Einzelgänger/innen waren bzw. sich
im Knast politisieren? Gehört dazu vielleicht auch schon der „einfache“ Widerstand im Alltag? Die „einfache“ Solidarität mit Mitgefangenen? Solidarität gerade auch mit den Schwächeren, denen, die in „die Mühle“ geraten ohne dabei zu denunzieren.? Sind das
politisch Aktive oder
Opfer einer systemstabilisierenden, einer politischen Justiz? Im letzteren Sinn wären
ALLE Gefangenen „politische Gefangene“, denn unser auf „teile und herrsche“ beruhendes Rechtssystem ist - wie jedes andere auch - ein politisches.
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Oder ist „politische Gefangene“ eine Begrifflichkeit, die von unserer Seite her
abgrenzen soll? Von den uns nicht bekannten Gefangenen, mit denen wir auch nichts zu tun haben? Von den „Verbrechern“, die wir bloß nicht so zu nennen wagen, die uns aber auch nicht geheuer sind? Sind „unsere“ Gefangenen, die „politischen“ Gefangenen also die „guten“ Gefangenen, welche damit von dem Stigma befreit sind, das Gefangenen normalerweise anhaftet? Brauchen Gefangene aus den Bewegungen diese Sonder-Etikettierung als Qualitätsmerkmal? Brauchen die Bewegungen draußen sie, um sich nicht mit Knast, Strafjustiz und Ausgrenzungsmustern in der Klassengesellschaft auseinander setzen zu müssen? Hätten sie dann nicht sogar Teilhabe am diesen?
/bix
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Die „freie Diskussion“:
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Die tatsächliche Veranstaltung lief anders als erwartet. Die Frage „Brauchen wir ‘politische’ Gefangene?“ sollte eine Provokation sein, eine Aufforderung zur Auseinandersetzung. Wir waren ja bei den von unserem libertären Bündnis vereinbarten Anti-Knast-Tagen. Ich rechnete mit unterschiedlichen Positionen zur Fragestellung, wollte aber nicht dirigieren, verzichtete auch auf ein Eingangsstatement. Freiheitliche Diskussion unter freiheitlich Engagierten! Dass dann das von mir angestrebte Thema fast überhaupt nicht aufgegriffen wurde, war für mich enttäuschend.
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Andererseits kamen Probleme zur Sprache, die ich nicht beiseite drängen wollte. Sich über Worte streiten zu wollen, während es als Vorwurf heraus brach, dass es viel zu wenig praktische Solidarität mit gefangenen Genoss/inn/en gäbe, erschien mir als unangemessene Wortklauberei. Denn dass die Bewegungen, die zu „Direkter Aktion“, zu Widerstand aufrufen, in der Verantwortung stehen, sich solidarisch unterstützend zu ihren gefangenen Mitgliedern zu verhalten, ist selbstverständlich. Es wurde aber mit Nachdruck beklagt, dass das nicht so sei. Bei Haftzeiten, die länger als ein paar Wochen oder Monate seien, verbleibe diese Aufgabe weitgehend bei spezialisierten Anti-Repressionsgruppen bzw. Familienmitgliedern und engen persönlichen Freund/inn/en des/der jeweiligen Gefangenen. Und es seien meistens Frauen, die eine solche Kontinuität aufrecht erhalten, während die anderen Aktivisten Wichtigeres zu tun haben, als sich um „gewaschenen Socken“ der Genossen zu kümmern. (Offensichtlich ein Beispiel aus U-Haft-Situationen) Das Ganze ist also so etwas wie eine Publikumsbeschimpfung geworden.
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Es gab nur ganz wenige Teilnehmer/innen des gut besuchten Workshops, die auf den Kontakt zu Gefangenen eingingen, die nicht aus unseren Bewegungen stammen. Dabei kurz eine Auseinandersetzung darüber, ob wir, wenn wir für die Abschaffung der Knäste sind, uns mit ALLEN Gefangenen solidarisieren müssen, oder ob die Begrenzung auf „kämpfende Gefangene“ unseren Zielsetzungen entspreche. Eine Genossin sagte, bei erster schriftlicher Kontaktaufnahme würden manche Gefangene „ sich entschuldigend“ vorstellen, sie seinen keine „politischen Gefangenen“. Offensichtlich mit der Befürchtung, dann nicht wichtig genug zu sein, dass man/frau sich mit ihnen auseinandnersetze. Sie hätten das Gefühl nicht das nötige Diplom zu haben.
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Also auch die, die dadurch ausgegrenzt werden, beziehen sich auf diese Begrifflichkeit. Und sie wurde von fast allen Diskutierenden unhinterfragt eingesetzt. Ein Genosse vom ABC Berlin erklärte, es sei ihm gar nicht verständlich, warum das Thema überhaupt diskutiert werde. Das Motte der Anti-Knast-Tage „Mit der Knastgesellschaft brechen und der Welt, die sie hervorbringt“ besage doch klar und deutlich, dass es um ALLE und ALLES gehe, um ALLE Repressions-, Ausgrenzungs- und Machtstrukturen, um alle Gefangene hinter Gittern und die angeblich „Freien“ in der unfreien Gesellschaft.
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Einverstanden, das Motto besagte dies! Und es gab auch Workshops zum Knastsytem allgemein. Meines Erachtens bleibt aber auch in den libertären Bewegungen vieles bloße Parole. Zwar stellen die Berliner ABC-Genoss/inn/en auch die „straflos“ und den „Mauerfall“ solidarisch auf ihre Website. Wenn wir uns aber deren eigene Veröffentlichungen ansehen, geht es fast ausschließlich um anarchistische Genoss/inn/en weltweit, deren Situation, deren Kämpfe. Und auch die Bezeichnung „politische Gefangene“ scheint kaum problematisiert zu werden. Die Ausnahme: Ein ABC-Genosse aus Wien versuchte relativ gegen Ende, als schon viel gesagt war, doch noch auf das von mir intendierte Thema hin zu steuern. Er lehne diese Begrifflichkeit ab, bedauere, dass das nicht diskutiert werde.
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Dafür war ich dankbar. Spätestens das hätte ich aufgreifen sollen, zumindest als eine Art Abschluss-Statement. Ich habe diese Chance verpasst, war zu überrascht und erstaunt über den bisherigen Verlauf, hatte mich auch so darauf versteift „mein“ Thema nicht durchdrücken zu wollen, wenn die Versammelten kein Interesse daran zu haben scheinen. Ich hatte Angst gehabt als dogmatisch zu erscheinen. Auf der anderen Seite: Die meisten Anwesenden haben geschwiegen. Das alles so „freiheitlich“ laufen zu lassen, selbst stumme Zuhörerin zu werden, war wohl eine Art Gewalt gegen diese Mehrheit.
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Das versäumte Abschluss-Statement
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Der Wiener Genosse sagte, die Fragen der schriftlichen Vorankündigung seien verständlich gewesen. Sie sind nicht diskutiert worden. Mein Fehler, denn ich habe sie nicht noch mal gestellt. Allerdings hatte ich dann das Gefühl, das, was sich Bahn gebrochen hat, die Klage über mangelnde praktische Solidarität gegenüber gefangenen Genoss/inn/en aus unseren Bewegungen, nicht weggedrängt werden dürfe. Das ist ein Widerspruch innerhalb der Bewegungen. Das ist ein Problem.
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Trotzdem jetzt noch ein Versuch, meine Ausgangspunkte, meine Diskussionsmotivation anzusprechen. Meines Erachtens brauchen wir, so lange es noch Gefängnisse gibt, (wie in allen Bereichen gesellschaftlicher Konflikte) politisch bewußte, widerständige, kämpferische und kämpfende Menschen. Wir brauchen solidarische, mit Mitgefangenen und mit Bewegungen draußen kooperationswillige Gefangene. Auch wir „draußen“ sind mit Repression konfrontiert und von Knast bedroht. Wir brauchen Zusammehalt gemeinsam Betroffener (ohne graduelle Unterschiede zu übersehen). Dabei geht es mir bzw. uns aber auch um die Fragwürdigkeit der Begrifflichkeit „politsche Gefangen“. Und wir vom AKP haben das Problem, mit dieser Position in der „Szene“ oft ziemlich alleine zu stehen.
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Der Mensch allgemein ist ein „homo politicus“, braucht andere und wird von anderen gebraucht. Die stereotype Klassifizierung der uns bekannten Genoss/inn/en wirkt u.E. spalterisch in Bezug auf die Gesamtheit der Gefangenen, ist außerdem mehrdeutig irreführend. „Politisch“ allein besagt gar nichts. Das müßte doch näher definiert werden. Sind sie Opfer einer Politik oder Subjekte politischen Handelns? Und welcher Art der Politik: die der Unterdrückung oder die der Befreiung? Entschuldigung, das sind weiterhin Fragen. Sie bleiben als solche bestehen. Wenn es um die MOTIVATION für die „Straftat“ geht: auch Nazis handeln politisch motiviert.
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Doch stellen wir das mit der Mehrdeutigkeit mal beisteite. Ich weiß es ja und wir wissen es alle: Wenn WIR das sagen, dann meinen wir Menschen aus UNSEREN Kreisen, UNSEREN Bewegungen, wenn sie in die Fänge der Justiz geraten sind. Und zwar, wenn sie ihre Tat politisch begründen, nicht wenn sie „ganz privat“ in Schwierigkeiten geraten sind. Und es wird auch nicht unbedingt diskutiert, wie sie sich im Knast „politisch“ verhalten..Warum diese Begrifflichkeit „politische Gefangene“ als statisches Etikett, als anerkennender Orden? Als Abgrenzung von den anderen, als Ausgrenzung. Das begrenzt unseren Blick auf das Repressionssystem, auf Klassenjustiz. Es macht die Gefangenen unsichtbar oder der Zuwendung unwürdig, die sich erst im Knast politisieren oder sich als frühere Einzelkämpfer/innen an uns wenden.
Wir können aber die, die im Knast nicht nach oben buckeln und nach unten treten, als unsere Mitkämpfenden brauchen. Auch wenn wir mit vielen von ihnen noch über weitreichende Ziele diskutieren müssen. Aber das müssen wir revolutionär Orientierte ja ebenfalls miteinander. Ich hoffe u.a. in der „Szene“ auf eine Diskussion hinsichtlich der von mir in den Raum gestellten Fragen, ein anderes Mal.
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bix
aus "straflos" Nr.4
1. Quaeral 2011
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