Montag, 21. Februar 2011

strafos 4, Berlin war eine Reise wert

... ein subjektiver Bericht von den Antiknasttagen xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Vom 26.-28. November 2010 fanden in Berlin die jährlichen Antiknasttage statt. Wir fuhren zu viert aus Köln nach Berlin. Das Treffen fand im legendären Bethanien statt. Ich war gespannt. Bislang kannte ich das Bethanien ja nur aus dem Lied der Scherben: „Der Mariannenplatz war blau, so viel Bullen waren da......“ Naiv, wie wir waren, stolperten wir erstmal in das Hauptgebäude rein und waren entsetzt. Alles schien so schrecklich chic und versprühte „den Charme“ der sattsam bekannten Bürgerzentren. Der Pförtner verwies uns dann an ein Nebengebäude. Naja, dort kam uns dann alles schon wesentlich bekannter vor. Am Freitag Abend waren schätzungsweise achtzig Leute da. Am Abend gab es dann einen einzigen Workshop. Ein Genosse aus Berlin, der relativ kurze Zeit im Knast war, berichtete über seine Erfahrungen. Leider war der Raum viel zu klein und so mußten viele auf dem Boden sitzen. Da ich gesundheitlich nicht mehr der Fitteste bin, mußte ich leider nach einer Viertelstunde aufgeben. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Das Hauptprogramm fand, wie immer bei solchen Treffen, am Samstag statt. Es waren gut 100 Leute da und es fanden meist zwei Workshops parallel statt. Ich hatte einen Workshop zu Sucht und Knast vorbereitet. Zum einen bin ich selber süchtig. Zum anderen spielt Sucht in der Antiknastarbeit kaum eine Rolle, obwohl mindestens 80% der Gefangenen süchtig sind. Auch in der radikalen Linken draußen spielen Süchtige kaum eine Rolle. Und wenn es draußen kaum Berührungspunkte gibt, wieso sollte es dann im Knast anders sein? Ich bin ja selbst in Köln die große Ausnahme. Zwar werde ich von der linken Szene in Köln geduldet, obwohl ich mich offensiv zu meiner Sucht bekenne. Aber ich bin eben nicht nur der Ex-Knacki, sondern auch entschiedener Systemgegner. SystemgegnerIn zu sein bedeutet nicht nur, ein weit entferntes Ziel wie eine Fahne vor sich herzutragen, sondern es hat eben auch Auswirkungen auf das alltägliche Verhalten. Deshalb werde ich von der linken Szene einigermaßen akzeptiert. Trotzdem würde ich nicht in eine linke Wohngemeinschaft passen. Die GenossInnen würden mit mir nicht glücklich. Und ich auch nicht. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Im Moment lebe ich noch mit 2 Punks in unseren Vereinsräumen mehr schlecht als recht zusammen. Aber das klappt auch nicht. Es scheitert nicht dran, daß es bei uns dreckig und siffig ist. Die beiden Punks sind Hardcore-Alkis. Ich bin spielsüchtig und benutze den Alk praktisch als „Methadon“. Richtig nüchtern ist da selten jemand. Die meist bürgerlichen Linken würden sich in unsere Räume wahrscheinlich nicht mal mit Gummihandschuhen trauen. Also, das gemeinsame Chaos könnte ich schon mit manchen Süchtigen teilen. Aber - die zwei Punks tragen zwar groß ein riesiges A im Kreis auf der Brust, bzw. Ihre APPD-Uniformen. Bei längeren Gesprächen merkt man aber immer schnell, wieviel reaktionärer Dreck hinter der „anarchistischen“ Fassade steckt. Deshalb trennen wir uns demnächst. Allein kann ich aber die Miete für diese Vereinsräume nicht aufbringen. Deshalb müssen wir im Frühjahr die Räume aufgeben. Das wird dann wahrscheinlich für mich Obdachlosigkeit bedeuten. Jetzt werdet Ihr Euch fragen, warum ich Euch den ganzen Scheiß erzählt hab. Nun, zum einen wollt ich erklären, warum es mir so wichtig war, einen Workshop zu Sucht zu machen und andrerseits weiß ich nicht, wie es mit der „straflos“ weitergehen wird, wenn ich auf der Straße liege. Jetzt aber zurück zum Workshop in Berlin. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Im Vorfeld hatte ich ja Bedenken, ob ich überhaupt prädestiniert sei, so einen Workshop zu machen. Schließlich bin ich ja nur pathologischer Spieler und „halber“ Alkoholiker. Aber von der großen Gruppe der Junkies hab ich wenig Ahnung. Zum Glück traf ich dann am Freitagabend eine Berliner Genossin, die früher mal an der Nadel hing. Sie war zwar nie im Knast, aber zumindest zum Thema - Leben als Junkie konnte sie meine Wissenslücken ausmerzen. Mein Workshop war dann Samstagmorgen um 11 der erste. Ich sagte noch scherzhaft zu Bix: Bei dem Thema sitzen wir jetzt wahrscheinlich zu fünft. Erstaunlicherweise war der Raum dann aber proppenvoll. Ich schätze 40-50 Leute. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Ich versuchte erstmal den GenossInnen klarzumachen, wie hoch der Anteil der Süchtigen unter den Gefangenen ist. Die JVA-Bielefeld beispielsweise meldet 77%, aber da sind die Spielsüchtigen ja noch gar nicht mitgezählt und außerdem outen sich ja nicht alle Süchtigen gegenüber der Anstalt. Denn als Süchtiger hat mensch wesentlich mehr Nachteile im Knast. Wie üblich drückte ich dann mein Bedauern aus, daß es schon beinahe selbstverständlich ist, daß bei Antiknastveranstaltungen keine ehemaligen Gefangenen (zumindest keine aus dem Bereich der sogenannten „sozialen“ Gefangenen) anwesend sind. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Fast schon wehmütig berichtete ich dann von den Zeiten der Anti-Knast-Werkstatt in Köln. Ein paar Jahre nach meiner Entlassung hatte ich dieses Rauskommerprojekt initiert und in den guten Jahren des Projekts waren da schon oft 50-60 Jahre Zuchthaus versammelt. Wir beteiligten uns an Hausbesetzungen und anderen politischen Aktionen und durch unser Arbeitsprojekt waren wir in der Stadt sichtbar und präsent. Auch innerhalb der Linken hatten wir einen anderen Stellenwert als jetzt, wo ich praktisch als durchgeknallter Einzelkämpfer versuche, die Fahne hochzuhalten. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Nachdem die Genossin dann von ihren Erlebnissen während ihrer Junk-Zeit erzählt hatte, entwickelte sich eine lebhafte Diskussion. Vor allem die Frage nach Sinn oder Unsinn von Therapie wurde lebendig diskutiert. Daß Zwangstherapien einhellig abgelehnt wurden, dürfte in dem Rahmen eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Spannender wurde es schon bei der Frage, wie denn damit umzugehen sei, wenn Gefangene sich „freiwillig“ für eine Therapie entscheiden. Die Mehrheit war, so wie ich, der Ansicht, daß es sehr fragwürdig sei, in einer Zwangseinrichtung wie dem Knast überhaupt von „Freiwilligkeit“ zu sprechen. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx Nach eineinhalb Stunden war bei mir aber dann auch die Luft raus. Mein Körper rief massiv nach einer Zigarette. Und so endete der erste, aus meiner Sicht gelungene, Workshop. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx /Gerhard, xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx aus "straflos" Nr.4

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